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Japan aus der Sicht europäischer FotografInnen

In meinem Vortrag möchte ich zunächst auf die besondere historische Situation Japans zur Zeit der Erfindung der Fotografie eingehen, die auch die ersten Fotografien von Japan nachhaltig beeinflusst hat. In diesem Zusammenhang sind einige thematische und bildnerische Vorstellungen von Japan zu sehen, die aus dieser Zeit stammen und sich bis heute halten. Dies ist auch der Grund dafür, weswegen ich so weit aushole. Seit der Erfindung der Fotografie spielen insbesondere ihre dokumentarischen Gebrauchsweisen eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung mit fremden Kulturen, weshalb das besondere Augenmerk auf dieser Art der Fotografie liegt. Nach der Erörterung dieser Grundparameter werde ich ausführlich die Arbeiten »Empty Heaven« von Paul Graham und »Future World« von Elisabeth Neudörfl vorstellen und versuchen, deren Strategien in der Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Japan aufzuzeigen.

Als Ausgangspunkt meiner Ausführungen gilt die Auseinandersetzung mit Möglichkeiten der fotografischen Darstellung des Fremden als Fremdes am Beispiel des europäischen Blicks auf Japan.

Frühe fotografische Darstellungen Japans
Im Jahr 1853 landet Commodore Matthew Perry als Gesandter der USA in der Bucht von Tokyo und verlangt die Öffnung japanischer Häfen für Amerikanische Schiffe. Zu dieser Zeit befindet sich Japan seit ca. 250 Jahren in selbst gewählter Isolation. Seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts ist Ausländern das Betreten Japans ebenso verboten wie den Japanern das Reisen ins Ausland. Einzige Ausnahme stellt eine kleine niederländische Handelsmission auf der im Hafen von Nagasaki künstlich aufgeschütteten Insel Dejima dar, über die während der Zeit der Abschließung ein Austausch zwischen Japan und dem Westen stattfindet. In Japan ist man über technische und naturwissenschaftliche Entwicklungen aus Europa stets informiert.

Commodore Perry wird von dem Fotografen Eliphalet M. Brown Junior begleitet, der als erster Fotograf japanischen Boden betritt und sofort damit beginnt, die fremde japanische Kultur zu fotografieren. Browns fotografischer Einsatz ist nicht zuletzt auf das eindringliche Plädoyer François Aragos zurückzuführen, der 1839 Louis Jacques Mandé Daguerres Erfindung der französischen Akademie der Wissenschaften vorstellt und sogleich die Dokumentation fremder Länder und ihrer Kulturgüter als eine der sinnfälligen Gebrauchsweisen des neuen Mediums Fotografie benennt.

Brown fertigt in den Jahren 1853 und 1854 etwa 400 Daguerreotypien an, die später bei einem Brand vernichtet werden. Erhalten sind einzig die Stiche, die zur Illustration des Perry-Reports nach Browns fotografischen Vorlagen angefertigt werden. Browns Bilder zeigen vorrangig verschiedene Japanische Typen in ihrer – vom westlichen Standpunkt aus gesehen – exotischen Kleidung und Haartracht, aber er fotografiert auch Tempel und Landschaften.

Im Zuge der Öffnung reisen zahlreiche Europäer nach Japan. Viele von ihnen sind des rapiden Wandels und der Industrialisierung in ihren Heimatländern überdrüssig und erwarten, in Japan ein exotisches Paradies vorzufinden, das von den Strömungen der Modernisierung unbeeinflusst ist. Im Gegensatz zu anderen Asiatischen Ländern erfreut sich Japan bereits seit dem 15. Jahrhundert einer positiven Reputation in Europa. Japanische Tugenden werden sehr bewundert, so dass die japanische Gesellschaft als der europäischen ebenbürtig angesehen wird.

Trotz der langjährigen Abschließung Japans sind auch die Europäer gut über Japan informiert. Dementsprechend erwarten sie, bestimmte Sehenswürdigkeiten und Charakteristika dort anzutreffen. Die Fotografie spielt in der Prägung der Erwartungshaltung gegenüber Japan eine große Rolle. Denn sie wird dazu eingesetzt, die Eindrücke der Reisenden zu fixieren. Schon bald eröffnen Fotostudios in den Vertragshäfen Yokohama und Nagasaki, die die Europäer mit unterschiedlichstem exotischen Bildmaterial versorgen. Die so genannten ›customs and costumes‹-Fotografien, zeigen Japanerinnen und Japaner in ihren traditionellen Gewändern, Vertreter unterschiedlichster Berufsgruppen wie z.B. Schirmmacher, Händler, Teehaus-Bedienungen, aber auch Samurai.

Andere Themen umfassen Tempel und Schreine, Bogenbrücken und traditionelle Landschaften wie z.B. den Berg Fuji. Häufig fotografieren die westlichen Fotografen Ansichten, die bereits aus der japanischen Kunst bekannt sind – z.B. aus japanischen Farbholzschnitten. Europäer sind von dieser Art der exotischen Japandarstellung begeistert. Insofern trägt sie maßgeblich zu einer Standardisierung der bildlichen Repräsentation Japans bei. Obwohl Japan im 19. Jahrhundert einen rapiden Wandlungsprozess von der Feudalgesellschaft hin zur modernen Industriegesellschaft durchläuft, findet diese Entwicklung keinen Niederschlag in den für westliche Ausländer angefertigten Fotografien. Diese tendieren eher dazu, die zunehmend westlich gekleideten JapanerInnen sowie die Zunahme von Industriebauten zu ignorieren.

Als einer der ersten in Yokohama ansässigen Fotografen schafft der britische Kriegsfotograf Felice Beato einen, wie Japanologin und Kunsthistorikerin Claudia Delank meint, »›visuellen Code‹ von Japan, der einerseits dem europäischen enzyklopädischen Erfassen der ›Fremde‹ und der Sehnsucht nach dem Einfachen und Anderen [entspricht], andererseits eine maßgebliche Rolle bei der Prägung der Themen und Motive« spielt [Delank 1996: 283]. Beatos zweibändiges Albenwerk »Photographic Views of Japan«, das 1868 erscheint, setzt thematische Maßstäbe und dient lange Zeit als Vorbild in der Japanfotografie. Die vorrangig für den westlichen Markt angefertigten Fotografien bedienen eine Sehnsucht nach der geheimnisvoll erscheinenden japanischen Exotik. »Beliebte Motive [sind] – damals wie heute – bekannte Bauwerke, landschaftlich schöne Orte, ›typisch Japanisches‹ wie Frauen im Kimono und Samurai in Rüstung, die Darstellung künstlerischer oder handwerklicher Aktivitäten [und] religiöser Zeremonien.« [Delank 2003: 2].

Während Beato sich in seinen Fotografien den lokalen Sitten anpasst, verfolgen andere Fotografen weitreichende Strategien der Exotisierung. Der österreichische Fotograf Baron von Stillfried-Rathenicz fotografiert beispielsweise auch barbusige Frauen beim Bad oder der morgendlichen Toilette und schafft so ein erotisch aufgeladenes Bild japanischer Weiblichkeit, was dem traditionell japanischen Verhaltenskodex jedoch nicht entspricht. Es sind aber nicht nur die westlichen Fotografen, die die Exotisierung der japanischen Kultur vorantreiben: Weil exotisches Bildmaterial stark nachgefragt wird, steigen auch von Japanern geleitete Fotostudios in das Geschäft mit den touristischen Bildern ein. Alben werden zusammengestellt und nach Europa und in die USA exportiert, wo sie zum Ende des 19. Jahrhunderts ein großer Verkaufsschlager werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird die professionelle Reisefotografie jedoch zunehmend von privater touristischer Fotografie verdrängt, weil kleine und leicht handhabbare Fotoapparate wie die Kodak Box die individuelle Reisedokumentation erlauben. Touristen neigen jedoch oft dazu, den bildnerischen Traditionen der professionellen Reisefotografie nachzueifern. Insofern sind die Themen der Japanfotografie um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert bereits gesetzt.

Dokumentarische Fotografie als Mittel zur Darstellung des Fremden In der Frühzeit der Fotografie sind Fotografen meist davon überzeugt, dass das Medium Fotografie dazu in der Lage ist, die Welt wahrheitsgemäß und authentisch abzubilden, was natürlich auch für fremde Völker und Kulturen gilt. Erst wesentlich später hat die wissenschaftliche Erforschung bildlicher Möglichkeiten diese Annahme als falsch verworfen. Leider kann hier der komplexe Diskurs der visuellen Kultur nicht annähernd wiedergegeben werden. Deshalb möchte ich hier nur kurz darauf verweisen, dass Fotografie nicht dazu in der Lage ist, die Realität oder eine wie auch immer geartete vorfotografische Wahrheit zu repräsentieren. Insofern ist eine wahrhaftige und authentische fotografische Abbildung nicht erreichbar. Mit diesem Verdikt im Hintergrund ist es verständlich, dass auch dokumentarische Fotografien – inklusive derjenigen, die fremde Kulturen darstellen – das Fremde mitnichten objektiv und wahrheitsgemäß zeigen. Für die BetrachterInnen dokumentarischer Fotografien bedeutet dies, dass eine Fotografie lediglich eine Sichtweise zeigt die ihre Wirkung innerhalb des Bildes oder im Rahmen einer Serie entfalten mag, aber auf keinen Fall repräsentativ für die abgebildete Welt als solche stehen kann. Als Konsequenz daraus können selbst ›dokumentarisch‹ genannte Bildwelten keine repräsentative Funktion im Sinne einer wahren und objektiven Darstellung übernehmen. Insofern ist es die Aufgabe der Fotografin zu überlegen, welche ausgewählten Aspekte der Welt sie dem Publikum zeigen möchte.

Wie bereits vorher erwähnt folgt die frühe Japanfotografie der Vorgabe, vor allem solche Aspekte zu zeigen, die sich von der visuellen Realität in den europäischen Heimatländern unterscheiden. Insofern zeigen diese Bilder häufig ein exotisches Land, das ganz anders aussieht als die eigene Kultur. Diese Art der Annäherung an die fremde Kultur zeigt bis heute Wirkung und kann auch auf Titelblättern deutscher Reisemagazine betrachtet werden. Ich wage zu behaupten, dass auch alle hier im Raum, die noch nicht in Japan gewesen sind, relativ präzise Vorstellungen davon haben, wie es in Japan aussieht oder welche visuellen Parameter zu erwarten sind.

Das Andere und das Fremde
An diesem Punkt möchte ich kurz ein wenig theoretisch werden und eine Terminologie einführen, die zwischen dem Anderen und dem Fremden unterscheidet. Dies ist wichtig, weil beide Begriffe häufig synonym verwendet werden. In meiner Definition folge ich weitgehend dem deutschen Philosophen Bernhard Waldenfels, der sich in zahlreichen Büchern ebenfalls dafür einsetzt, beide Begriffe voneinander zu unterscheiden, denn seiner Auffassung nach sind sie absolut nicht identisch.

Nach Waldenfels erfolgt die Abgrenzung des Anderen vom Selben durch einen neutralen Beobachter, der das Eine vom Anderen unterscheidet. Diese Art der Abgrenzung ist umkehrbar [vgl. Waldenfels 1997: 20]. Ist die Unterscheidung einmal vorgenommen, bleibt sie bestehen. Die Dinge werden also aufgrund einer ›spezifischen Differenz‹ unterschieden, aber nicht, weil sie sich selbst voneinander unterscheiden [vgl. ebd.].

Im Gegensatz dazu wird der Begriff des Fremden zur Darstellung einer Relation zwischen dem Fremden und dem Eigenen genutzt. Insofern wird das Fremde nicht durch einen neutralen Beobachter vom Eigenen unterschieden, sondern das Selbst erkennt das Fremde vor dem Hintergrund des Eigenen. Die Wahrnehmung des Fremden unterliegt einem Prozess der permanenten Grenzverschiebung, der Schaffung von unscharfen Übergängen zwischen Fremdem und Eigenem durch das Selbst und bildet damit den Unterschied zur bloßen Unterscheidung des Anderen vom Selben durch Dritte.

Um es noch einmal zusammenzufassen: Das Selbst ist von Fremdheit stets unmittelbar betroffen. Bei Begegnungen mit einer fremden Kultur gibt es keine neutrale Instanz, die die spezifische Differenz zwischen der eigenen und der fremden Kultur feststellen könnte. Vielmehr muss diejenige, die der fremden Kultur begegnet, selbst das Verhältnis zur anderen Kultur bestimmen und ihre eigene Herkunft als Ausgangsbasis verwenden.

Die Begriffe »fremd« und »anders« können auch auf die fotografischen Annäherungen an Japan angewendet werden. Wenn ausschließlich solche Aspekte fotografiert werden, die anders sind als in der eigenen Kultur, kommt es mir so vor, als würde die fremde Kultur in dieser Differenz eingefroren. Diese Art der fotografischen Annäherung bedient sich üblicherweise solcher Elemente, die das Publikum von der fremden Kultur zu sehen erwartet. Das Resultat eines solchen Ansatzes kann regelmäßig in der Reise- und Magazinfotografie betrachtet werden, die sich meist damit beschäftigen, Außergewöhnliches und Besonderes einer fremden Kultur zu zeigen. Das Problem dieser Art von Fotografie liegt darin, dass sie keine Fremdheit im Fremden erlaubt. Sie hat an der Manifestierung der fremden Kultur als Anderes teil.

Doch kann es überhaupt gelingen, mit Fotografie einen Eindruck der fremden Kultur zu vermitteln, die sie nicht in ihrer Andersartigkeit fixiert, sondern sowohl Differenzen als auch Parallelen zulässt und sich auf die Erfahrung des Fremden einlässt?

Künstlerische Dokumentarfotografie
Bevor ich damit beginne, konkrete Beispiele einer Japanfotografie zu zeigen, die sich darum bemüht, Fremdheitserfahrung zuzulassen, möchte ich noch einmal kurz auf Unterschiede zwischen Reise- bzw. Magazinfotografie sowie einem künstlerischen Ansatz zu sprechen kommen. Wie bereits gesagt kann Dokumentarfotografie ganz allgemein keine authentische Darstellung der Welt leisten. Während es noch immer vereinzelte FotografInnen und BetrachterInnen gibt, die an die Möglichkeiten der Fotografie, Wahrheit zu zeigen, glauben, sind sich KünstlerInnen, die dokumentarisch fotografieren, in der Regel der Unzulänglichkeiten fotografischer Bilder bewusst. Sie setzen Dokumentarfotografie in einer Weise ein, die nicht einfach zeigt, was da ist. Insofern sind Authentizität und Wahrheit hier Kategorien ohne primäre Bedeutung. Die KünstlerInnen sind sich der konstruierenden Funktion der Fotografie bewusst, weshalb sie mit ihren Bildern nicht auf die Verdoppelung einer vorhandenen Realität setzen, sondern daran arbeiten, eine neue, bildliche Realität im Rahmen einer Serie zu schaffen.

Dazu möchte ich Fotokurator Thomas Weski zitieren: »Gelingt es dem Fotografen […], den Gegenstand mit seinen Mitteln zu durchdringen, kommen wir in den Genuss, auf den ersten Blick Vertrautes durch die Sehweise des Fotografen mit erweiterter Bedeutung aufgeladen wahrzunehmen und mit einer Autonomie konfrontiert zu sein, die uns aus der Welt der bildenden Kunst bekannt ist. Unser Interesse findet eine Fotografie dieser Eigenschaft immer dann, wenn ihr Urheber bei seiner Sicht auf die Realität nicht einfach unsere Kenntnis von ihr bestätigt, sondern eine Differenz zwischen seiner und unserer Wahrnehmung entsteht« [Weski 2003: 23].

In der künstlerischen Dokumentarfotografie liegt die Qualität demzufolge in den Möglichkeiten der Künstlerin, eine eigenständige Sichtweise zu entwickeln und Bilder zu präsentieren, die über unsere Erwartungen und unser Wissen hinausgehen. So können möglicherweise neue Sichtweisen geschaffen werden, die sogar zur Reflektion der eigenen Haltung gegenüber dem Fremden beitragen können.

Der konzeptuelle Ansatz
Die beiden Arbeiten, die ich hier ausführlicher vorstellen möchte, verfolgen beide einen konzeptuellen Ansatz in der künstlerischen Dokumentarfotografie. Dokumentarische Fotografie bewegt sich üblicherweise an der Oberfläche des Sichtbaren. Die Fotografin schaut auf die Welt und isoliert mittels der Kamera den Teil, den sie passend findet und transformiert ihn in ein fotografisches Bild. Der konzeptuelle Ansatz unterscheidet sich hiervon jedoch ein wenig. Der konzeptuelle Ansatz erlaubt es der Fotografin, sich mit einem vorab entwickelten Konzept im Kopf mit der sichtbaren Welt auseinanderzusetzen. Das Konzept hilft beispielsweise dabei, bestimmte Orte aufzusuchen, wo das Gesuchte gefunden werden kann. Die Wahrnehmung der Welt wird also vom Konzept in Kombination mit den sichtbaren Oberflächen geleitet. Das kann dazu führen, dass die Wahrnehmung der Welt sehr stark von dem abweicht, was wirklich zu sehen ist. Diese Art des Umgangs mit der Welt ist gewissermaßen konstruierend, wobei die Konstruiertheit noch durch die Bildauswahl verstärkt werden kann.

Man könnte sagen, dass diese Vorgehensweise einen klaren Verstoß gegen die von DokumentarfotografInnen erwartete Offenheit darstellt. Schließlich wird von ihnen erwartet, dass sie eine genaue Darstellung der wichtigen Aspekte geben und so eine Vorstellung von Wahrheit vermitteln. Wenn man aber die generelle Konstruiertheit von Fotografie in Betracht zieht, scheint der konzeptuelle Ansatz wesentlich ehrlicher zu sein, da er ohnehin nicht vorgibt, die wahrhaftige Sichtweise zu liefern, sondern lediglich eine von unendlich vielen möglichen. Befreit von der Last, Authentizität und Wahrheit zu vermitteln, kann die Künstlerin unter den DokumentarfotografInnen das Feld ihrer konzeptuellen Ideen erkunden. Mit der Schlussfolgerung, dass der konzeptuelle Ansatz möglicherweise zu tieferen Erkenntnisse führen kann als ein Ansatz, der noch an die Wahrhaftigkeit der dokumentarischen Fotografie glaubt, möchte ich nun das erste Projekt vorstellen.

Paul Grahams »Empty Heaven«
Das Buch »Empty Heaven« des englischen Fotografen Paul Graham, Jahrgang 1956, erscheint 1995 als begleitender Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg. Das Buch umfasst 55 Farbfotografien, die zwischen 1989 und 1995 bei mehreren Japanaufenthalten Grahams entstanden sind. Im Layout gibt es nur zwei Formate. Hochformate sind stets Format füllend auf einer Einzelseite abgedruckt, Querformate laufen immer über die ganze Doppelseite. Alle Fotografien stehen ohne weiße Ränder auf den Seiten. Sind zwei hochformatige Fotos miteinander auf einer Doppelseite kombiniert, stoßen sie direkt aneinander. Es handelt sich bei dieser Publikation um ein in Eigenregie des Autors zusammengestelltes Künstlerbuch. Das Buch beinhaltet weder Ausstellungsansichten noch Texte von KuratorInnen oder KritikerInnen, die sich speziell auf Grahams Arbeit beziehen. Als einzigen Text fügt Graham hinter dem Bildteil ein kurzes Zitat sowie ein Bildverzeichnis ein. Ein Interview mit dem Künstler und biografische Daten sind in einem Beileger abgedruckt. Dort erfahren die BetrachterInnen einige Details über Grahams Intentionen, was für das Verständnis der Bilder mitunter hilfreich ist.

Paul Graham interessiert sich in Japan für Fragen von Macht und Machtverteilung, insbesondere auch in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der japanischen Vergangenheit. In Japan beobachtet er das Fehlen einer kritischen Bewertung der japanischen Rolle als Aggressor im Zweiten Weltkrieg und stellt fest, dass sich dies auch auf den gegenwärtigen japanischen Alltag auswirkt. In seiner Arbeit begibt er sich auf die Suche nach Möglichkeiten, dieses unter der Oberfläche verborgene Thema visuell umzusetzen.

Das Buch beginnt mit fünf aufeinander folgenden Fotografien, erst dann folgt der Titel auf einer Doppelseite. Diese Eingangssequenz fungiert als eine Art Establishing Shot. Sie setzt den Ton und einige Themen des Buches. Deshalb möchte ich hier zunächst diese fünf Bilder kurz vorstellen. Die hier in der Projektion am unteren Rand genannten Bildtitel und Bildnummern entnehme ich dem am Ende des Buches abgedruckten Bildverzeichnis. Das Buch ist aber so angelegt, dass die Bilder ohne Titel angeschaut werden. Weil ich die Textlosigkeit des Fotografen ohnehin durchbreche, können die Bildtitel hier möglicherweise zum Gesamtverständnis der Arbeit beitragen. Im Vordergrund steht aber grundsätzlich die Bildwirkung, die einen Text nicht benötigt.

Das vollformatig rechtsseitig angeordnete Hochformat der ersten Fotografie zeigt das Brustbild einer schwarz gekleideten jungen Frau, die sich in einem Wohnzimmer zu befinden scheint. Ihre rot geschminkten Lippen markieren den Bildmittelpunkt. Fast berührt sie mit dem Zeigefinger der linken Hand ihre Nasenspitze. Die Geste wirkt einerseits natürlich, doch weil das Blitzlicht die Bewegung einfriert, wird sie artifiziell. Dennoch wirkt das Porträt nicht inszeniert. Der Fotograf reißt die Geste aus dem Zusammenhang des Bewegungsablaufes. Im Einzelbild wird sie geschichtslos, die Motivation der Gestik erschließt sich nicht. Die unvollendete Bewegung lässt einen Eindruck von Unvollständigkeit entstehen. Undurchschaubar lächelnd schaut die junge Frau rechts aus dem Bild hinaus. Das Frauenporträt zeigt eine junge Japanerin, aber es porträtiert sie nicht in dem Sinne, dass es etwas über ihre Persönlichkeit aussagt. Lediglich Haarschnitt, Kleidung und Make-up geben einige Hinweise auf die Person selbst. Das Zimmer, in dem sie sich befindet, zeigt nichts Spezifisches. Die Fotografie deutet auf eine Person in einer globalisierten Welt, die nach unspezifischen Kriterien gekleidet ist und wohnt. Da der Fotograf kein individualisierendes oder psychologisierendes Porträt herstellt, rücken Gestik und Distanziertheit in den Vordergrund.

Auf der nächsten Doppelseite ist die vollformatige Fotografie des Motorblocks eines fabrikneuen Autos abgedruckt. Das Kabelgewirr vermittelt ein geordnetes Chaos, das Laien jedoch unverständlich bleibt, da ihnen eine Bezeichnung der einzelnen Teile und ihrer Funktionen nicht möglich ist. Dominierend ist die schwarze Farbe der Kabel und Rohre, die sich von aluminium- und messingfarbenen Teilen des Motors abhebt und vereinzelt von farbigen Kabelisolierungen durchbrochen wird. Die Fotografie versucht nicht, die Funktion des Motors zu vermitteln. Die Schönheit und Technizität, die sich in der Fotografie offenbart, verbirgt gleichzeitig das Funktionale dahinter. Kraft und Leistung des Motors erschließen sich nicht aus der visuellen Anschauung. Die Fotografie des Motorblocks lässt sich symbolisch lesen: Sie verweist auf das Potenzial der japanischen Wirtschaftskraft. Die ökonomische Stärke der Autoindustrie kann so in Zusammenhang mit Fragen von Macht und Machtverteilung gesehen werden.

Die folgende Doppelseite zeigt die Fotografie eines magentafarbenen Druckrasters. Die Farbfläche vermittelt extreme Künstlichkeit. Rosa wirkt lieblich, süß, kitschig. Mädchenhaftes und Erotisches wird nicht nur in Japan in rosa dargestellt. Rosa ist in der japanischen Kultur aber insbesondere als Farbe der Kirschblüten von besonderer Bedeutung. Die Kirschblüte ist nach Kobayashi »Metapher für die vergängliche Natur des menschlichen Lebens. Es heißt, die fallende Kirschblüte stellt sowohl die flüchtige Schönheit als auch die Blutstropfen des Samurai dar, dessen Leben, ebenso wie die Schönheit, ephemer erblüht.« [Kobayashi: 2002, 63] Die Gleichstellung von Schönheit und Kriegstod mittels einer symbolischen Farbgebung mutet von europäischer Warte sehr fremd an. Die Farbe Rosa nimmt dem Soldaten und damit dem Krieg das Martialisch-Gewalttätige, sie verharmlost und romantisiert. Graham spielt in dieser Fotografie mit der Doppeldeutigkeit der Symbolik.

Die querformatige Fotografie der nächsten Doppelseite zeigt eine Museumsinstallation von vier nebeneinander hängenden schwarz-weißen Fotografien, die die atomare Wolke von Hiroshima zeigen. Obwohl es sich bei Grahams Aufnahme um eine Farbfotografie handelt, wirkt sie aufgrund der Ausstellungsinstallation auf grauer Wand schwarz-weiß. Die aus der Unfarbigkeit des Motivs in Kombination mit dem Einsatz eines Blitzlichtes entstehende Härte tritt besonders im Kontrast zur Farbigkeit des vorangegangenen Bildes hervor. Der Einsatz der Atombomben trägt bis heute dazu bei, dass sich Japan eher als Opfer der Kriegshandlungen sieht und die eigene Rolle in einem brutal geführten Angriffskrieg verharmlost. Dies spiegelt sich auch in Grahams Fotografie wider. Die gezeigten Wolkenfotografien sind ästhetisch sehr ansprechend, das Wissen um die historische Realität der Atombombenexplosionen setzt jedoch eine Kette von negativen Assoziationen frei. Die ausgestellten Fotografien scheinen die Realität zu verharmlosen, die Art der Abbildung versucht jedoch, die Verharmlosung zurückzudrängen.

In der folgenden Fotografie hängt auf einer rosafarbenen Tapete in der Bildmitte ein großer Fotokalender. Das Bild des Monats Dezember zeigt vier Katzen, die mit leicht geneigten Köpfen den BetrachterInnen direkt in die Augen schauen. Die Zahl der Katzen verweist auf die Zahl der vorangegangenen Explosionswolken, bildet aber in dem kitschigen Ensemble einen großen Kontrast zur vorherigen Fotografie. Kitsch bietet die Möglichkeit, sich der harschen Realität zu entziehen und in die Welt eines »Scheinparadieses« zu flüchten [Gelfert 2000: 31].

In der Kombination beginnen die Bilder miteinander zu wirken. Sie werden miteinander verwoben, wodurch vielschichtige Bedeutungsebenen zur Geltung kommen können.

Mit dieser Fotografie endet die Einleitung, ihr folgt der Titel auf einer Doppelseite. Die Bandbreite der Motive erscheint sehr vielfältig, die Verbindungen der Bilder untereinander bleiben eher vage. Dennoch zeigt sich hier bereits die Grundkonstellation von Grahams Ansatz:

1.Die gewählten Motive scheinen auf im Westen bekannte Japan-Klischees zu verweisen: mysteriös lächelnde Frauen, Autos, Kitsch, Hiroshima.
2.Die abgebildeten Objekte befinden sich immer zentral in der Bildmitte.
3.Der Fotograf nähert sich den fotografierten Objekten stark an.
4.Er benutzt immer ein Blitzlicht.
5.Er zeigt nie größere Übersichten.

Paul Grahams Herangehensweise wirkt sehr ungewöhnlich. Er fotografiert hauptsächlich im Nahbereich und in Innenräumen und schließt Übersichten und Außenaufnahmen weitgehend aus. Dennoch verweisen die von ihm gewählten Bildwelten auf spezifisch Japanisches, weil sie an im Westen bekannte Themen anknüpfen.

Im Folgenden möchte ich etwas detaillierter auf einige Bilder und Bildgruppen der Arbeit eingehen. Wie sich bereits in der Einstiegssequenz zeigt, ist die Kombination und Abfolge der Bilder sehr wichtig. Auch wenn mitunter nur ein einzelnes Bild auf einer Doppelseite abgedruckt ist, schafft Graham Bildfolgen, die als Bildpaare oder Bildsequenzen betrachtet werden können, wie sich bereits am Beispiel der Hiroshima-Fotografie und des Katzen-Bildes zeigt.

Angeeignete Bildwelten
Graham arbeitet viel mit vorgefundenen Bildern. Indem er historisches Bildmaterial mit zeitgenössischem kombiniert, kann er beispielsweise eine geschichtliche Dimension in die Arbeit einbringen, die ihm ansonsten verwehrt bliebe.

Diese Doppelseite folgt kurz nach der Eingangssequenz und ist ein gutes Beispiel für Grahams Umgang mit vorhandenem Bildmaterial. Das linksseitig angeordnete Hochformat zeigt den Ausschnitt eines knallig rosafarbenen »Süßigkeiten-Einwickelpapiers«, so der Bildtitel. Die intensive Farbigkeit und die kindlichen Comic-Charaktere erzeugen in Zusammenspiel mit den bunten Herzen einen verspielten Eindruck. Dieses Bild ist mit der ausschnitthaften Reproduktion einer Farbfotografie kombiniert, die die Schulterverletzung eines Atombomben-Opfers von Hiroshima zeigt. Das Muster des Kimonos, der zur Zeit der Explosion getragen wurde, hat sich in die Schulter eingebrannt. Weil es sich um eine Reproduktion handelt, ist das Druckraster zu erkennen. Über die Farbgebung beider Bilder und die Tatsache, dass es sich bei beidem um gedrucktes Ausgangsmaterial handelt, schafft Graham eine Verbindung zwischen den Fotografien. Inhaltlich scheinen sie jedoch sehr unterschiedlich. Mit dem großen Kontrast stellt Graham eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her. Das süßliche gegenwärtige Bildmaterial kann den Schmerz der Vergangenheit nicht übertönen. Die Manga-Zauberin, deren Zauberstab zentrales Element der linken Abbildung ist, kann die Geschehnisse der Vergangenheit nicht zum Verschwinden bringen. Obwohl sie in der Fantasie alles nur Denkbare herbeiwünschen kann, ist das in der Realität unmöglich.

Kurz nach dieser Bildkombination gibt es eine weitere Zusammenstellung von historischem und zeitgenössischem Bildmaterial. Hier handelt es sich um zwei Fotografien im Querformat, die unmittelbar aufeinander folgen. Die Bildpaarung beginnt mit der Fotografie eines sehr dunklen Ölgemäldes, dessen Goldrahmen im Anschnitt zu sehen ist. Graham richtet seine Kamera nach oben, die Ränder sind angeschnitten, das Motiv verzerrt. Das zentrale Element sticht aus der Dunkelheit hervor. Es handelt sich um eine Prozession, die durch ein Tor zum Yasukuni-Schrein marschiert. Den Shinto-Priestern in weißen Gewändern folgen Soldaten in Uniform. Dieses Bild verweist auf die Verbindung von Militarismus und Shintoismus, die Auslöser für den aggressiven Angriffskrieg Japans im Zweiten Weltkrieg war. Der Yasukuni-Schrein steht auch heute noch für die fehlende Selbstkritik Japans in Bezug auf die eigene kriegerische Vergangenheit, weil dort auch rechtskräftig verurteilte Kriegsverbrecher geehrt werden. Schreinbesuche hoher politischer Repräsentanten, beispielsweise des früheren Premierministers Koizumi, haben wiederholt zu Turbulenzen im Verhältnis zu Japans asiatischen Nachbarn geführt.

Der von Graham gewählte Ausschnitt verdeutlicht die kritische Haltung des Fotografen. Denn die Überhöhung, die sich im Ölgemälde findet, wird mit fotografischen Mitteln gebrochen.

Dieser Fotografie folgt das Bild einer Spielzeugtierprozession in einem Badezimmer. Die Beziehung zwischen den beiden Bildern wird, wenn nicht direkt erkannt, über die Bildtitel hergestellt, die beide den Begriff Prozession beinhalten. Das niedliche Arrangement der Spielzeugtiere, das auf JapanerInnen sehr alltäglich wirkt, verstärkt die Distanz zum historischen Bild und verbindet es eindeutig mit der Vergangenheit. Dennoch thematisiert diese Bildkombination die bestehenden Verbindungslinien zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, trotz der Kontextverschiebung, die inzwischen stattgefunden hat.

Die Wahl des Yasukuni-Bildes zeigt, dass sich Graham nicht ausschließlich für die Atombombenabwürfe als Symbole der japanischen Vergangenheit interessiert, sondern auch deutliche Verbindungen zum Militarismus herstellt. Hier wird offenbar, dass Graham einerseits mit der starken Wirkung seiner Fotografien arbeitet, sie andererseits aber mit symbolischen und metaphorischen Bedeutungen auflädt, um seine Beobachtungen der zeitgenössischen japanischen Gesellschaft zu verdeutlichen. Grahams Fotografien wirken meist auf mehreren Ebenen. Zum einen gibt es die visuelle Ebene, die sich ohne Vorwissen öffnet und in der auch die Bildkombinationen erfahrbar werden. Je nach Vorwissen und Informationsgrad erschließen sich weitere Bereiche, die das Bildverständnis vertiefen können.

Es gibt noch weitere Beispiele für Grahams Umgang mit vorgefundenem Bildmaterial, ich möchte jedoch mit einem anderen inhaltlichen Schwerpunkt fortfahren.

Porträts
Die Frauenporträts bilden eine wichtige Bildgruppe in »Empty Heaven«. Wie bereits gezeigt, beginnt das Buch mit dem Porträt einer jungen Frau, die vom Blitzlicht in einer Geste eingefroren ist. Insgesamt gibt es zehn solcher Frauenporträts.

Ein besonders bemerkenswertes ist das Porträt einer Frau mit weißem Gesicht. Es ist auch auf dem Schutzumschlag abgedruckt. Die Geste der zum Mund geführten Hand unterstützt die traditionell japanische Anmutung ebenso wie das weiß geschminkte Gesicht und der rote Lippenstift. Die Kombination von Weiß und Rot gilt in Japan als Glück verheißend. Das Bedecken der Zähne beim Lachen ist nur eine von vielen Gesten, die traditionell weibliches Verhalten in Japan zum Ausdruck bringen. In der jüngeren Generation verschwindet dieses Verhalten aber nach und nach. Die Frau ist elegant gekleidet und frisiert. Vergleichbar mit der Frau im ersten Bild schaut sie nicht in die Kamera. Der festgehaltene Moment wirkt etwas befremdlich, aber nicht inszeniert. Auch dieses Porträt gibt keinen Aufschluss über die Persönlichkeit der Fotografierten. In der Geste scheint eine spezifisch japanische Verhaltensweise durch. Die Frau selbst bleibt aber undurchdringlich.

Ein weiteres Beispiel stellt diese Doppelseite dar, auf der zwei Frauenporträts nebeneinander gestellt sind. Auch hier sind beide Frauen mitten in einer Geste eingefroren und schauen nicht in die Kamera. Graham porträtiert alle Frauen auf diese sehr ungewöhnliche Weise. Die Gestik erhält so besondere Wichtigkeit. Die vorwiegend jungen Frauen werden gezeigt, ohne Aufschluss über ihren Charakter zu geben. Die Porträts verzichten auf jeglichen psychologisierenden Anspruch. Die unterschiedlichen Arten sich zu kleiden, zu frisieren oder zu schminken lassen verschiedene Charaktere nur erahnen. Die Art der Darstellung betont aber die Oberfläche der Gestik und verweist damit möglicherweise auf dahinter verborgen liegende Aspekte von individueller Persönlichkeit.

Sind bereits die Frauenporträts in der Bildauffassung ähnlich, setzen die Männerporträts weiter zugespitzt auf Vergleichbarkeit. Die Männer sind nur in extremer Nahsicht des Profils porträtiert, was häufig dem gewählten Brillenmodell mehr Wichtigkeit einräumt als anderen Gesichtszügen. Die porträtierten Männer sind alle älter als die Frauen. Graham gibt an, die Männer in Kasumigaseki, dem Tokyoter Verwaltungsbezirk fotografiert zu haben. Es handelt sich nach Grahams Angaben um Bürokraten, die im öffentlichen Dienst arbeiten und damit Säulen des Machtapparats sind. Graham fotografiert sie in austauschbarer Bildauffassung, so dass sich das Stereotyp, alle japanischen (Geschäfts-)Männer sähen gleich aus, zunächst zu bestätigen scheint.

Weil er aber so nah an die Gesichter herangeht und der Hintergrund schwarz ist, gewinnen plötzlich beispielsweise die Textur der Haut, Bartwuchs oder Rasur, Brille, Wimpern oder Augenbrauen an Präsenz. Grahams Darstellung scheint den stereotypen Ansatz der Austauschbarkeit in sein Gegenteil zu verkehren, weil in der Abbildung Differenzen verstärkt zutage treten. Indem die Fotografien zunächst alle Männer gleich aussehen lassen, beginnen wir als BetrachterInnen damit, Unterschiede zu entdecken.

Künstliche Natur
Zum Abschluss der Reflexion über Grahams Arbeit möchte ich noch einen weiteren Themenkomplex ansprechen: die Natur. Kirschbäume gelten als nationales Symbol Japans. Die Abbildung blühender Kirschbäume gehört zum Standardrepertoire japanischer Reisefotografie. Insgesamt drei hochformatige Fotografien zeigen »umhüllte Kirschbäume«, die sich – von unten angeblitzt – vor dem nachtschwarzen Himmel abheben. Die Stämme und dicken Äste sind mit Binden aus Sackleinen oder Bast umwickelt, es ragen lediglich kleine Ästchen hervor. Die Bandagierungen, die vermutlich dazu angebracht sind, um vor Beschädigungen zu schützen, lassen die Bäume in Grahams Fotografien zu Schwerverletzten werden, die voraussichtlich einer langfristigen Rekonvaleszenz bedürfen. Trotz ihrer Stabilität wirken die Bäume fragil und hilfsbedürftig. In Grahams Fotografien fehlt den Kirschbäumen das Schöne und Erhabene, das üblicherweise zu ihrer Darstellung gehört. Damit stehen die Bilder im Gegensatz zur japanischen Gartenkultur, die in ihrer Gestaltung die Erhabenheit der unberührten Natur hervorzuheben sucht. Es ist Nacht und Winter und die durch Perspektive und Blitzlicht erzeugte Direktheit der Abbildung verweigert sich der Bewunderung einer Natur, die höchst artifiziell ist. In der Wiederholung betont Graham die Bedeutung der auf die Natur ausgeweiteten menschlichen Einflusssphäre.

Das Kirschbaum-Thema wird erneut an anderer Stelle mit einer querformatigen einzeln stehenden Fotografie aufgegriffen. Die Fotografie zeigt künstliche Kirschblüten, die mit Draht an echten Zweigen befestigt sind. Sie zeigt damit eine Ansicht, die dem Publikum in den Fotografien der Kirschbäume vorenthalten wird. Die Blüten treten wegen des Blitzes sehr plastisch in Erscheinung. Es findet eine Verkehrung von Natur und Künstlichkeit statt. Wirken die fotografierten echten Kirschbäume der Natur sehr weit entrückt, entsteht hier auf den ersten Blick ein eher natürlicher Eindruck, der jedoch durch den Einsatz des Aufhellblitzes gebrochen wird. Erst beim näheren Hinschauen entdeckt man die Drähte, mit denen die Plastikblüten befestigt sind. Trotzdem ist die Fotografie weit davon entfernt, kitschig zu sein. Die Ambivalenz zwischen Natur und Künstlichkeit wird direkt betont. Die Kirschblüte verliert in der Plastikform die ihr innewohnende ephemere Zartheit. Nicht Vergänglichkeit sondern Dauerhaftigkeit und Robustheit stehen im Vordergrund. Die Härte, die die Bilder der umhüllten Kirschbäume auszeichnet, setzt sich in der Fotografie der artifiziellen Kirschblüten fort. Während jedoch die echten Kirschbäume krank und verletzt wirken, demonstriert die Fotografie der künstlichen Kirschblüten Stabilität. So entsteht eine Diskrepanz zwischen den Abbildungen selbst und den weiterführenden Assoziationen der BetrachterInnen.

Bewertung
Leider habe ich hier nur einen kleinen Ausschnitt aus Paul Grahams Buch »Empty Heaven« zeigen können. Trotzdem denke ich, einige wesentliche Aspekte von Grahams Arbeitsweise aufgezeigt zu haben. Der Fotograf geht nah an die fotografierten Objekte und Personen heran, löst sie aus ihrem Umfeld heraus und betont mit dem Blitzlichteinsatz die Oberflächen. Obwohl der Bildgegenstand stets gut sichtbar ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird, bleiben Fragen offen hinsichtlich des Abgebildeten. Das Abgebildete bleibt Fragment, jedoch entwickelt sich eine Gesamtansicht durch Gruppierung und Wiederholung verschiedener Sujets und Motive. Mit der Kombination gegensätzlicher Bilder oder solchen, die zunächst kaum zueinander zu passen scheinen, entstehen erweiterte Bedeutungsebenen. Die Fotografien erklären sich häufig nicht von alleine, bieten aber auf der visuellen Ebene vielfältige Möglichkeiten der Entdeckung. Die visuelle Reichhaltigkeit und Offenheit lädt zu intensiver Betrachtung ein und ermöglicht darüber hinaus Assoziationen in verschiedene Richtungen.

Die Fotografien greifen häufig Elemente auf, die im Westen über Japan bekannt sind. Die Themenauswahl wirkt mitunter fast stereotyp. Statt aber Klischees zu bestätigen, säen Grahams Fotografien ihnen gegenüber Misstrauen. Die Oberflächen scheinen etwas zu verbergen, das vielleicht doch über das Stereotype hinausweist. Einen Hinweis darauf gibt Graham mit dem Zitat der britischen Kulturanthropologin Joy Hendry, das er zwischen den Fotografien und den Bildlegenden einfügt.

Es lautet: »The West is overly concerned with ›unwrapping,‹ with revealing the essence of things. We should look rather at the method of concealment…« Die Methode des Verbergens zu betrachten, kann nach Hendry Aufschluss über das Verborgene selbst geben. An dieser Stelle setzt Graham an. Seine Fotografien zeigen Oberflächen und eröffnen die Möglichkeit, sich mit dem dahinter Liegenden zu beschäftigen. Das Medium Fotografie kann zunächst nur zur Darstellung dessen herangezogen werden, was sich dem Auge darbietet. In der Kombination von Bildern, die Leerstellen aufweisen und nicht alles erklären, kann aber Tiefe erzeugt werden. Grahams Bilder eröffnen eine Differenz zwischen dem allgemeinen Japanbild und dem, was der Fotograf bereit ist, uns zu zeigen. Auch die Auslassung von Ansichten und Übersichten betont den konzentrierten Blick auf beobachtbare Details.

Grahams Bilder wollen uns Japan nicht erklären oder zeigen, wie es dort ist. Sie geben keine Antworten, sondern werfen Fragen auf, die sie selbst unbeantwortet lassen. Auf diese Weise haben die BetrachterInnen von Grahams Fotografien die Möglichkeit, sich mit dem Fremden zu konfrontieren und so an der Fremderfahrung des Autors teilzuhaben. Die japanische Kultur wird nicht als das festgelegte Andere präsentiert, sondern als das, was uns herausfordert und uns so Anregungen gibt, Japan auf eine andere Weise wahrzunehmen: Als Fremdes, das sich nicht einfach aus Differenzen zu unserer eigenen Kultur heraus erklären lässt.

Elisabeth Neudörfls »Future World«
Das Fotobuch »Future World« der deutschen Fotografin Elisabeth Neudörfl, Jahrgang 1968, erscheint im Jahr 2002 als Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Sprengel Museum Hannover. Auch hier handelt es sich um ein von der Fotografin selbst konzipiertes Künstlerbuch. Das Buch umfasst 80 hochformatige Schwarzweiß-Fotografien, die Neudörfl hauptsächlich bei einem viermonatigen Japanaufenthalt im Jahr 1998 fotografiert hat. »Future World« beinhaltet ebenfalls keine Ausstellungsansichten oder begleitenden Texte, Neudörfl verzichtet auch auf Bildtitel oder ein Bildverzeichnis. Selbst das Impressum ist unter den Umschlagsklappen verborgen. Im Inneren des Buches wird auf Text vollständig verzichtet.

Die Auseinandersetzung mit Fragen der Sicherheit, die das individuelle und gesellschaftliche Handeln prägen, bildet nach Aussagen der Fotografin die Basis ihrer Beschäftigung mit Japan. Das japanische Sicherheitsbedürfnis kann in enger Verbindung zu den geografischen Gegebenheiten Japans gelesen werden. Naturkatastrophen haben Japan in seiner Geschichte wiederholt heimgesucht; Erdbeben, Flutwellen und Taifune stellen eine permanente Bedrohung dar. Wenn das Dasein durch äußere Faktoren stetigen Unsicherheiten unterworfen ist, ist der Wunsch nach Sicherheit in kontrollierbaren Bereichen durchaus nachvollziehbar. Das Thema Sicherheitsbedürfnis und Kontrolle wird in Neudörfls Arbeit nicht explizit als inhaltlicher Schwerpunkt erwähnt und erschließt sich aufgrund des gewählten Ansatzes nicht unbedingt auf den ersten Blick. Dennoch kann das Thema als eine Leitlinie der Fotografin angesehen werden, das in vielfältiger Abwandlung wiederholt aufscheint und einen möglichen Interpretationsrahmen setzt.

»Future World« ist so konzipiert, dass es sowohl in westlicher, als auch in japanischer Betrachtungsweise angeschaut werden kann. Die japanische Lesart beginnt aus westlicher Sicht hinten. Das Buch hat insofern zwei Titelseiten, die auf Englisch und Japanisch beschriftet sind, auch das Impressum gibt es doppelt und zweisprachig.

Das Layout unterscheidet grundsätzlich zwischen Übersichten und Porträts. Während die Übersichten stets mit weißem Rand gesetzt sind, sind die über das gesamte Buch verteilten Porträts immer vollformatig im Anschnitt gedruckt. Neudörfl arbeitet nicht mit strikt voneinander getrennten Sequenzen wie Graham, dennoch übernehmen die Porträts eine strukturierende Funktion. Im vorderen Buchteil sind die Fotografien meist auf der rechten Seite gedruckt, im hinteren linksseitig, was wiederum mit der westlichen und der japanischen Betrachtungsweise zusammenhängt. Die meisten Fotografien stehen einzeln, nur selten werden Bilder auf Doppelseiten miteinander kombiniert.

Japanischer Einstieg
Ich möchte zunächst mit dem japanischen Einstieg beginnen. Hier stehen fünf Übersichts-Fotografien hintereinander und werden vom sechsten Bild, einem Porträt, vom weiteren Verlauf des Buches abgegrenzt. Insofern lässt sich auch hier eine Art Einstiegssequenz definieren. Das wie die folgenden vier Fotografien linksseitig auf der Doppelseite abgedruckte erste Bild zeigt den aus erhöhter Perspektive aufgenommenen Blick auf ein Wohnviertel. Die schmale Straße, die auf der linken Bildhälfte geradewegs ins Bild hineinführt, wird von Telegrafenmasten gesäumt. Rechts hinten steht ein etwas höheres Bürogebäude. Die Fotografie vermittelt die banale Alltäglichkeit eines ruhigen städtischen Wohnbereichs mit aufgelockerter Bebauung. In den Fenstern hängen Gardinen, kein Mensch ist auf der Straße zu sehen. Das Urbane erhält einen sehr beiläufigen Charakter.

Die folgende Fotografie zeigt abermals einen Blick von oben auf ein städtisches Viertel. Dieses ist jedoch viel heterogener als das erste. Wohnhäuser stehen dicht gedrängt an einer sehr schmalen Straße. Im Vordergrund deutet eine geräumige Garage, neben der zwei uniformierte Figuren das Grundstück aufräumen, auf eine aufgelockerte Bebauung, während die kleinteilige Wohnarchitektur der Bildmitte im Hintergrund an großflächigere Büro- und Apartment- sowie an Lagergebäude angrenzt. Eine große Straße führt im entfernten Bildhintergrund vermutlich als Brückenauffahrt am linken Bildrand aus dem Bild hinaus. Im Hintergrund zeichnen sich von Dunst eingehüllt die Krananlagen eines Hafengebiets ab. Wohnstraßen befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kleinindustrie und Hafenanlagen. Wirkt das erste Bild in seiner Dichte noch verhältnismäßig aufgelockert, zeigt sich hier die Verdichtung des urbanen Raums mit unterschiedlichen Nutzungsformen. Neudörfl verschafft dem Publikum im Wortsinn einen Überblick über eine komplex strukturierte urbane Situation.

Auch das nächste Bild ist von einem erhöhten Standpunkt aus aufgenommen. Die Straßenbäume verdecken den linken Bürgersteig. Rechts von der Straße ist eine tiefer liegende Fahrstraße mit einem Gitter abgedeckt, links befindet sich eine von Pflanzen überwucherte Brachfläche. Blickfang des Bildes ist ein etwa fünfzehnstöckiges Bürogebäude in der linken Bildhälfte, an das sich im Hintergrund weitere Gebäudekomplexe anschließen. Im unteren Bilddrittel steht rechts eine Person vor der Leitplanke der schmalen Straße. Links auf dem Bürgersteig entdecken wir eine weitere Person, die aus der Hocke heraus erstere fotografiert. Das Bild zeigt eine urbane Grenzsituation. Der Übergang zwischen dichter Bebauung und Brache erscheint sehr abrupt, die Brachfläche wirkt etwas befremdlich in der dicht bebauten Umgebung. Insbesondere irritieren aber die beiden Personen, die sich an einem urbanen Un-Ort in touristischer Manier fotografieren. Die Situation bleibt vollkommen offen, die Kulisse der touristischen Fotografie bleibt unserem Blick verborgen. Das Bild hat keinen zentralen Gegenstand, der das Thema bestimmt. Es schneidet verschiedene Themen an, ohne gezielt eine Sichtweise vorzugeben.

Die vierte Fotografie ist vom Straßenniveau aus nach oben fotografiert. Die zentrale Bildmitte wird durch das Stahlskelett eines ungefähr zwölfgeschossigen Rohbaus ausgefüllt. Die stabil wirkende Konstruktion fügt sich in das im Anschnitt sichtbare benachbarte urbane Umfeld ein. Die Vertikale wird durch die sich nach oben verjüngenden Linien betont. Der unfertige Zustand des Gebäudes zeigt Aspekte der Veränderung einer sich wandelnden Stadt. Das Motiv bleibt abermals unbestimmt, zudem ist völlig unklar, ob hier ein Wohnhaus, ein Bürohaus oder ein Parkhaus errichtet wird.

Die fünfte, und damit letzte, Fotografie dieser Bildfolge zeigt einen massiven Plattenbau, der das Bildformat fast vollständig ausfüllt. Oben ist ein kleines Stück Himmel zu sehen, nach rechts und links setzt sich das Gebäude außerhalb des Bildraums fort. Es ist durch rechteckige einzelne Platten gegliedert, in die jeweils mittig ein Fenster eingelassen ist. Lediglich vier Fenster der zahlreichen sichtbaren Geschosse stehen offen und bilden schwarze Unterbrechungen in der massiven Fassade, die abweisend und schmutzig wirkt. An der linken unteren Bildkante ragt dunkles Gestrüpp ins Bild, das die düstere Atmosphäre dieses architektonisch belanglosen Kolosses noch verstärkt. Massivität und Eintönigkeit des Gebäudes lassen an eine Big-Brother-Welt denken, in der jegliche Individualität unterbunden und der Einzelne absoluter Kontrolle unterworfen ist.

In dieser Eingangssequenz lässt sich bereits der grundlegende Ansatz von Neudörfls Fotografie erkennen. Neudörfl zeigt Übersichten, die sich nicht unbedingt auf einen zentralen Bildgegenstand konzentrieren. Die Fotografien sind sehr offen und zeigen viele Details, die sich die BetrachterInnen nach und nach erschließen können. Die Fotografien zeugen vom Interesse der Autorin für die verdichtete Urbanität japanischer Städte, die sie sehr zurückhaltend in Szene setzt. Die Bilder scheinen gerade nicht die Andersartigkeit zu betonen, denn sie wirken völlig unspektakulär.

Verdichtete Stadt
Die Verdichtung des urbanen Raums ist eines der Themen, die sich durch das Buch »Future World« hindurch ziehen. Diese Bilder zeigen unter anderem die Art und Weise, wie verschiedene Verkehrswege voneinander getrennt werden, was eine Strukturierung des urbanen Raums bewirkt. Die Fotografien des Urbanen konzentrieren sich weniger auf architektonische denn auf strukturelle Elemente im Stadtraum.

Auf der schmalen Straße im Vordergrund geht eine Frau mit dem Rücken zum Publikum rechts aus dem Bild hinaus. Eine Hochbahn überdacht die von einem Zebrastreifen markierte Autostraße. Starke Stahlträger verankern die Bahnkonstruktion zwischen den Fahrbahnen im Boden. Verkehrsampeln, die in Japan horizontal angeordnet sind, Verkehrsschilder und Stromleitungen sind nur einige der sichtbaren Details. Die Fotografie ist sehr komplex. Trotz der abgebildeten Verdichtung wirkt das Bild auf der unteren Ebene weit, da weder Fußweg noch Straße im Moment der Aufnahme intensiv genutzt werden. Die Fotografie zeigt die Ausnutzung des städtischen Raums auf mehreren Ebenen, wodurch er sehr strukturiert wirkt. Bilden die Ebenen von Straße und Bahn Horizontalen, werden diese durch die Vertikalen der Tragekonstruktionen durchbrochen. Die Fotografie selbst konzentriert sich auf die Darstellung der ausgeprägten Fragmentierung des Raums, weshalb die konkreten Elemente der Abbildung an Wichtigkeit verlieren.

Das untere Bilddrittel des folgenden Fotos wird durch drei Reihen von Plastikblumenkästen bestimmt. Ob es sich bei den Blumen um echte oder um Kunstblumen handelt, ist nicht klar zu erkennen. Das Arrangement, das sich am Rand einer mit Pollern abgetrennten Straße befindet, ist sehr liebevoll gestaltet. Über diese Szenerie führt eine Hochstraße quer durch das Bild, deren Stützkonstruktion außerhalb des Bildausschnitts liegt. Die seitliche Begrenzung der Hochstraße gibt die Sicht auf die Dächer von Kleinbussen und anderen Fahrzeugen frei. Die Staffelung des Raums wird hier auf verschiedenen Ebenen betont. Die Reihen der Blumenkästen mit Straße und Absperrgittern vermitteln eine räumliche Tiefe, die Hochstraße bildet eine obere Begrenzung und vermindert damit den Eindruck von Raumhöhe. Die Anordnung der Blumenkästen im Stadtraum unterhalb einer Hochstraße wirkt äußerst befremdlich. Dieses kleine – vermutlich künstliche – Biotop scheint von der oben entlang führenden Straße geradezu überdacht und damit beschützt zu werden. Weil sich der Verkehr auf der oberen Ebene bewegt, findet in der unteren Straße im Wortsinn eine Beruhigung statt.

In diesem Zusammenhang ist das Konzept des wrapping in der japanischen Kultur interessant, das die britische Anthropologin Joy Hendry – wir kennen sie bereits von ihrem Zitat in »Empty Heaven« – in ihrem Buch »Wrapping Culture« entwickelt. Wrapping ist Hülle oder Verpackung. Dieses Phänomen wird verschiedentlich in Zusammenhang mit der japanischen Geschenkkultur erörtert, die der Art der Verpackung große Bedeutung beimisst. Hendry dehnt das Konzept des wrapping jedoch auf weitere Bereiche der japanischen Kultur und Gesellschaft aus. In ihrem Sinne kann es als eine Form der Schichtung gelesen werden. Dieses Modell wendet sie auch auf den Raum an, der ebenfalls verpackt werden kann. Architektur ist demnach eine strukturierende Umhüllung des Raums. Sie ordnet ihn und bestimmt die Größenverhältnisse, die wiederum die individuelle Erfahrung des [urbanen] Raums prägen. Auch hier zählt also die Verpackung, die von ebenso großer Bedeutung ist wie das Umhüllte selbst. Anthropologin Hendry schreibt dem wrapping dementsprechend auch eine Schutzfunktion zu.

Sicherheit
Wo die Strukturierung des Raums selbst also eine Art Schutzfunktion ausübt, liegt die Frage nach der Sicherheit nicht fern. Insofern möchte ich hier einige Fotografien herausgreifen, die mit diesem Thema in Verbindung gebracht werden können.

Die hier gezeigte Situation ist zunächst schwer einzuordnen. Im Zentrum des Bildes stehen sechs Männer in einer Gruppe beisammen, die den BetrachterInnen den Rücken zuwenden. Sie tragen als Kopfbedeckung seltsame wattierte Hauben. Sie stehen unsicher, als ob der Boden schwankt. Das Bild vermittelt einen eigenartigen Eindruck, denn Verhalten und Kleidung der Protagonisten sind schwer einzuordnen. Da sie dem Publikum den Rücken zuwenden, bleibt ihr Handeln ungewiss. Daraus entsteht in der Fotografie eine Irritation, mit der die Fotografin gezielt arbeitet. Die Fotografie steht allein, weder die vorherigen noch die nachfolgenden Bilder im Buch geben eine genauere Erklärung über das Geschehen. Mit dem Wissen, dass die Fotografie in einem Erdbebensimulationszentrum aufgenommen ist, lässt sich das Thema zuordnen. Die Unsicherheit über das wirkliche Geschehen bleibt jedoch bestehen.

Auf einer breiten Kiesauffahrt stehen in einiger Entfernung etwa in der Bildmitte zwei schwarze Luxuslimousinen hintereinander. Zwischen den beiden Autos stehen drei Männer in Anzügen, zwei schauen direkt in die Kamera, der dritte ist nur von hinten zu sehen. Rechts neben den Autos steht ein vierter Mann und telefoniert, den Rücken der Gruppe zugewandt. Obwohl die abgebildete Situation sehr unspezifisch ist und die Gesichter aufgrund der großen Distanz kaum zu identifizieren sind, meint man, eine solche Situation aus zahlreichen Filmen zu kennen. Das Bild lässt an die japanische Mafia denken, die Yakuza. Man stuft die Männer automatisch als gefährlich ein. Neudörfl setzt den Bezug zu bekannten Bildwelten gezielt ein. Sie benötigt nur eine einzelne Fotografie, um eine ganze Kette von Assoziationen auszulösen und verweist damit auf die hinlänglich bekannten Praktiken der Yakuza und die Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die von ihren Gruppen ausgeht. Die Distanz der Fotografin zu den als gefährlich eingestuften Männern dient als Sicherheitsabstand und trägt somit weiterhin zur Wirkung der Fotografie bei. Die Fotografin und die BetrachterInnen können einen Anblick aus der Ferne erhaschen, befinden sich aber in einem respektvollen Abstand und somit in Sicherheit.

Rechts neben der angeschnittenen Front eines modernen Reisebusses steht eine Frau frontal zum Publikum, die aufgrund ihrer uniformähnlichen Kleidung und ihrer Körperhaltung als Reiseleiterin erkennbar ist. In den Händen hält sie ein Blatt Papier. Ihr Blick ist an den BetrachterInnen vorbei auf ein Geschehen gerichtet, das außerhalb der Bildbegrenzung stattfindet. Die Person der Reiseleiterin vermittelt eine große Sicherheit. Sie verkörpert das Bedürfnis vieler JapanerInnen, lieber aufgehoben in einer Gruppe statt als IndividualtouristInnen die Welt zu erkunden. Die Fotografie zeigt in dieser Situation gerade nicht die Reisegruppe, die der Reiseleitung folgt. Insofern ist das Vorstellungsvermögen des Publikums herausgefordert, das Angedeutete zu vervollständigen.

Die Fotografien berühren Aspekte der Sicherheit und des Sicherheitsbedürfnisses immer auf sehr subtile Weise. Die Autorin enthält sich einer Wertung. Die BetrachterInnen können und müssen sich selbst eine Meinung bilden, wie sie Neudörfls Fotografien einordnen möchten. Es wird nicht vermittelt, wie die abgebildete Welt zu verstehen ist.

Gruppen
Bereits die Fotografie der Reiseleiterin reflektiert das im Westen als stereotyp wahrgenommene japanische Gruppenverhalten. Zu diesem Thema gibt es bei Neudörfl weitere Fotografien, zwei von ihnen möchte ich hier zeigen. Eine Gruppe von sechs Mädchen steht dicht gedrängt und fast kreisförmig auf einem leeren Parkplatz beisammen. Die Mädchen unterhalten sich und scheinen dabei auf etwas zu warten, was durch den Blick der links stehenden Figur aus dem Bild hinaus angedeutet wird. Sie alle tragen Schuluniformen. Bemerkenswert an der Fotografie ist die körperliche Nähe, die die Gruppe trotz des verfügbaren Platzes hält. Raumaufteilung und grafische Elemente der Fotografie betonen die Homogenität der Gruppe, die Schuluniformen verstärken die Wirkung zusätzlich. Die körperliche Nähe gibt den Mädchen die Sicherheit der Zusammengehörigkeit.

Die Fotografie zeigt eine sehr spezielle Art von Gruppenverhalten, das fremd anmutet. Es ist jedoch so beiläufig ins Bild gesetzt, dass nicht explizit wird, ob dieses Verhalten spezifisch japanisch ist oder ob ein ähnliches Verhalten auch in Europa beobachtet werden könnte.

Eine weitere Fotografie greift die Thematik des Gruppenverhaltens im Zusammenhang von Schulaktivitäten auf. Auf einer steinigen Bergkuppe mit einem kleinen Shinto-Heiligtum befindet sich eine sehr große Schülergruppe. Die SchülerInnen tragen identische Trainingsanzüge. Auch sie stehen recht dicht beieinander, was hier jedoch mit dem begrenzten Raum zusammenhängt. Durch die in der Fotografie eingehaltene Distanz zu den Personen werden Spuren der Individualität gezielt vernachlässigt, was die Homogenität der Gruppe betont. Diese Fotografie passt erneut in das von Neudörfl beobachtete Konzept des japanischen Sicherheitsbedürfnisses, denn die identische Kleidung ermöglicht die eindeutige Zuordnung zur Gruppe. Bei dieser Gruppengröße kennen die Aufsichtspersonen vermutlich nicht jeden Einzelnen, aber die Uniform bescheinigt die Zugehörigkeit und bietet somit eine gewisse Sicherheit.

Neudörfls Fotografien zeigen, dass in Japan Gruppenverhalten und Sicherheit unmittelbar miteinander zusammenhängen. Durch die Verbindung beider Konzepte gelingt es, ein anderes Licht auf das im Westen eher als negativ rezipierte japanische Gruppenverhalten zu werfen. Fehlende Individualität kann auch als Zeichen Schutz bietender Zugehörigkeit verstanden werden.

Porträts
Menschen sind in »Future World« nicht nur in der Gruppe thematisiert. Die Einzelporträts bilden einen Teilbereich von insgesamt 18 Bildern, die über das gesamte Buch verteilt sind. Sie konstituieren einen großen Kontrast zu den übrigen Bildern, denn hier nähert sich die Fotografin so stark der einzelnen Person an, dass der Kopf Format füllend ins Bild gesetzt ist. Der Hintergrund wird auch durch den Blitzlichteinsatz vollends zurückgedrängt. Die meist jungen Fotografierten blicken nicht in die Kamera, so dass sich die Aufmerksamkeit beim Betrachten auf die Gesichtszüge konzentriert. Die BetrachterInnen der Bilder werden so zu BeobachterInnen und nicht zu PartnerInnen der fotografierten Personen. Die Porträtierten sind auf eine Weise beschäftigt, die sich nicht aus den Bildern erschließt. Sie scheinen aufmerksam zuzuhören, manche auch selbst zu sprechen.

Das erste exemplarisch vorgestellte Bild zeigt das von oben fotografierte Porträt einer jungen Frau. Ihr dunkles halblanges Haar hat sie zur Seite aus der Stirn herausgestrichen. An der rechten Bildkante ist ihre linke Hand, in der sie eine Zigarette hält, stark angeschnitten. Durch die Obersicht und die die Augen teilweise verdeckenden Lider ist die Blickrichtung nicht eindeutig zuzuordnen. Weil man die Augen nicht richtig sehen kann, wirkt sie insgesamt eher herb, verschlossen und abweisend. Sie bleibt ganz in ihrer Welt und gibt nichts von sich preis.

Eine ganz andere Wirkung hat dieses Porträt: Die sehr junge Frau ist von rechts im Halbprofil fotografiert. Ihre glatten schwarzen Haare sind an der rechten Seite mit mädchenhaft wirkenden Haarnadeln fixiert, der Pony fällt ihr leicht in die Stirn. Sie hat ihren Mund gespitzt weil sie offenbar gerade spricht. Dabei gestikuliert sie mit den Händen, die in der linken unteren Bildecke im Anschnitt zu sehen sind. Ihr wacher Blick führt direkt links aus dem Bild heraus. Sie wirkt freundlich, neugierig und sehr offen. Die beiden jungen Frauen wirken in den Fotografien extrem unterschiedlich. Bedingt durch Kleidung und Accessoires, aber auch durch Mimik und Gestik entstehen in den Bildern sehr große Unterschiede und betonen die Differenz der beiden Persönlichkeiten. Trotzdem verweigern sich die Fotografien einer Individualisierung der abgebildeten Personen und treffen keine fixierbare Aussage über deren Charakter.

Das hier als letztes vorgestellte Porträt zeigt einen Mann im mittleren Alter. Er ist aus leichter Obersicht aufgenommen und hat scheinbar die Augen geschlossen oder aber den Blick so weit gesenkt, dass seine Augen nicht sichtbar sind. Allein durch sein Alter und den nicht sichtbaren Blick scheint dieses Porträt aus der Reihe zu fallen, da die ProtagonistInnen der anderen Porträts alle erheblich jünger sind. Dennoch stellt es Elisabeth Neudörfl in eine Reihe mit den anderen Porträts. Durch die formalästhetischen Übereinstimmungen der Aufnahmesituation kann dieses Bildnis als eine Erweiterung des Personenkreises gesehen werden: Elisabeth Neudörfl geht es nicht ausschließlich darum, Personen einer bestimmten Altersgruppe abzubilden, auch wenn sie vorrangig junge Menschen zeigt.

Die Porträts innerhalb der Arbeit »Future World« suggerieren eine Nähe zu den fotografierten Personen. Diese bleiben aber distanziert, da die Porträts selbst nur sehr wenig über die Persönlichkeiten mitteilen. Einerseits besitzen die Personen eine unmittelbare Präsenz, andererseits geben sie nichts von sich preis. Das Bild bleibt Bild und entzieht sich einem intellektuellen und damit verbalisierbaren Verständnis. Die Porträts nehmen keine Bestimmung vor. Sie zeigen durchschnittliche Japanerinnen und Japaner, ohne sie auf eine gesellschaftliche Rolle zu fixieren. Auch die Ethnizität der Dargestellten bleibt unbestimmt, sie wird nicht besonders herausgestellt. Es überwiegt im Bild der Gesichtsausdruck. Dieser initiiert möglicherweise die Suche nach einem Verständnis für die Persönlichkeit selbst, die aber unklar bleibt. Die Porträtierten werden als Individuen sichtbar, ohne Einblicke in ihre Persönlichkeit oder ihren Charakter zu geben. Trotz gleichförmiger Aufnahmesituation widerspricht dies einer standardisierten Wahrnehmung. In der Ähnlichkeit der Aufnahmesituation entfalten sich die Unterschiede der Fotografierten weit mehr, als es durch individualisierte Porträtsituationen zu erreichen wäre. Ohne dass die Fotografin gezielt eine Charakterisierung innerhalb der Porträtsituation betreibt, zeigen die Bildnisse die Vielschichtigkeit der porträtierten Gruppe. Die Einbeziehung verschiedener Altersgruppen bestätigt diese Vielfalt zusätzlich.

Bewertung
»Future World« hat natürlich noch wesentlich mehr zu bieten, als ich hier in der Kürze vorstellen kann. Dennoch hoffe ich, über einige zentrale Ansatzpunkte ein Interesse an Elisabeth Neudörfls fotografischen Ansatz geweckt zu haben. Die Fotografien liefern eine sehr zurückgenommene Sichtweise auf Japan. Spektakuläres oder wichtige Sehenswürdigkeiten bleiben unberücksichtigt, das Alltägliche wird betont. Den Fotografien kann man spezifisch Japanisches entnehmen, Differentes zur westlichen Kultur lässt sich entdecken. Diese Elemente sind aber mitunter so subtil eingeflochten, dass sie leicht übersehen werden können, wenn man nur oberflächlich schaut. BetrachterInnen, die bereit sind, sich ausführlich mit den Bildern zu beschäftigen, können viele Details entdecken.

Elisabeth Neudörfl arbeitet sehr viel unbestimmter als Paul Graham. Ihre Fotografien geben die Intention der Fotografin nicht unbedingt preis, sie entfalten in ihrer Vielschichtigkeit, in der Abfolge und in den Bildkombinationen Möglichkeiten, sich ein Bild des zeitgenössischen Japan zu machen. Die Fotografien bewerten das, was sie zeigen, nicht. Die BetrachterInnen erhalten die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dennoch sind Neudörfls Fotografien genau beobachtet und ausgewählt. Ihrer Arbeit liegt eine konzeptuelle Herangehensweise zugrunde, die sich über das Thema Sicherheit der fremden Kultur nähert. Die Bilder bewahren eine große Offenheit, die sie auch an die BetrachterInnen weitergeben. So ist es möglich, anhand der Fotografien das Fremde als Fremdes zu erleben und eigene Fremdheitserfahrungen zu machen.

In diesem Punkt ähneln sich die Arbeiten von Paul Graham und Elisabeth Neudörfl, auch wenn sie formal sehr unterschiedlich sind. »Empty Heaven« wirkt mitunter viel konstruierter, viel direkter, weil das zentrale Element der Fotografien immer genau zu erkennen ist. Dies ist bei »Future World« viel schwieriger. In beiden Arbeiten ist aber die Wirkung wichtig, die Arbeit mit dem Bild als Bild, das nicht nur auf Abgebildetes verweist, sondern innerhalb des Bildes selbst Sichtbarkeit schafft. Auf diese Weise stellen die Fotografien nicht Fremdheit dar, sondern lassen Fremdheitserfahrung zu.

Das Fremde fotografieren
An diesem Punkt möchte ich noch einmal zu den Begriffen des Fremden und des Anderen zurückkehren. Ich habe versucht zu zeigen, dass Graham und Neudörfl nach Wegen suchen, das Fremde in ihren Fotografien nicht als anders, von ihren eigenen Kulturen abweichend, zu fixieren.

Wenn das Fremde aber nicht klar benannt werden kann, ohne dass es, ähnlich dem Unbekannten, seine Bedeutung als Fremdes verliert, muss – nach Bernhard Waldenfels – ein Blickwechsel vollzogen werden. »So lange wir fragen, was das Fremde ist und bedeutet, wozu es da ist und woher es kommt, ordnen wir es in ein Vorwissen oder Vorverständnis, ob wir es wollen oder nicht […]. Die Situation ändert sich, wenn wir darauf verzichten, geradewegs zu bestimmen, was das Fremde ist, und wenn wir statt dessen das Fremde nehmen als das, worauf wir antworten und unausweichlich zu antworten haben, also als Aufforderung, Herausforderung, Anreiz, Anruf, Anspruch oder wie immer die Nuancen lauten mögen« [Waldenfels 1997: 108f; Hervorhebung im Original]. Das Fremde dient also als Anreiz der Auseinandersetzung, vor dem auch das Eigene zu hinterfragen ist, weil es mit dem Fremden einen Bezugspunkt erhält.

Daraus folgt, dass jede Fotografie, die versucht, das Fremde zu definieren oder zu erklären zwangsläufig einen konstituierenden Aspekt von Fremdheit untergräbt: deren Herausforderung und Provokation gegenüber dem Eigenen. Deshalb scheint es erforderlich, den Anreiz, die Herausforderung der Fremdheit in den Fotografien zu bewahren. Die BetrachterInnen der Bilder sollten das Fremde nicht allein als abweichend betrachten, sondern sie selbst sollten konfrontiert sein mit der Provokation der Fremdheit. Auf diese Weise wäre es möglich, beim Betrachten der Bilder Fremdheit zu erfahren und sie als Anlass zu nehmen, über Kategorien des Fremden und des Eigenen zu reflektieren. Die Fotografien dienen so als Quelle der Beunruhigung, die irritiert und offen lässt, was zu sehen oder wie dies zu verstehen ist.

Um mit Fotografie auf diese Art zu arbeiten, ist es wichtig, [dokumentarische] Fotografie nicht als Quelle der Information zu betrachten oder als Ansammlung von Zeichen, die auf die dargestellten Dinge verweisen; sondern sie als visuelles Mittel zu begreifen, das Abwesendes zeigt und so auf die BetrachterInnen wirkt.

Es braucht jedoch zwei Seiten für dieses Verständnis von Fotografie: Die Fotografin muss Fotografie in einer Weise verwenden, die Irritation und Beunruhigung zulässt und auf diese Weise die eigene Fremdheitserfahrung an die BetrachterInnen weiterleitet. Das Publikum muss ein Verständnis für die fehlenden Erklärungen herausbilden. Es muss entdecken, dass fehlende Erklärungen des kulturell Fremden keinen Qualitätsmangel darstellen, sondern dass die fehlenden Antworten intendiert sind.

Wendet man Waldenfels’ Idee des Fremden als Provokation und Herausforderung auf die Fotografien von Paul Graham und Elisabeth Neudörfl an, ist vielleicht besser zu verstehen, worauf ich hinaus möchte. Weder Grahams noch Neudörfls Fotografien geben Antworten auf bestimmte Fragen, die man in Bezug auf Japan stellen könnte. Die Bilder mögen einige beantworten, aber zahlreiche weitere unbeantwortet lassen. Sie verwahren sich dagegen, direkt ›gelesen‹ zu werden und bleiben in einer Art Schwebezustand. Auf diese Weise konfrontieren die Fotografien die BetrachterInnen mit einer Situation oder Atmosphäre, die sie auch selbst vorfinden könnten, wenn sie nach Japan reisen.


Literatur

Delank, Claudia [1996]: Das imaginäre Japan in der Kunst. ›Japanbilder‹ vom Jugendstil bis zum Bauhaus, München.

Delank, Claudia [2003]: »Fotografien in Japan«. In: Japan Forum, Vol. 100, Juli 2003, 1-2.

Graham, Paul [1995a]: Empty Heaven. Photographs from Japan 1989-1995, Kat. [Kunstmuseum Wolfsburg], Zürich/Berlin/New York.

Graham, Paul [1995b]: »Die Uhr des Kaisers. Ein Gespräch zwischen Paul Graham und Uta Grosenick«. Einleger in: Empty Heaven. Photographs from Japan 1989-1995, Paul Graham, Kat. [Kunstmuseum Wolfsburg], Zürich/Berlin/New York.

Hendry, Joy [1993]: Wrapping Culture. Politeness, Presentation and Power in Japan and Other Societies, Oxford.

Kobayashi, Audrey [2002]: »Cherry Blossoms«. In: Encyclopedia of Contemporary Japanese Culture, hg. v. Sandra Buckley, London/New York, 63.

Lockemann, Bettina [2008]: Das Fremde sehen. Der europäische Blick auf Japan in der künstlerischen Dokumentarfotografie, Bielefeld.

Neudörfl, Elisabeth [2002]: Future World, Kat. [Sprengel Museum Hannover], Hannover.

Waldenfels, Bernhard [1997]: Topographie des Fremden, Frankfurt a.M.

Weski, Thomas [2003]: »Grausam und zärtlich«. In: Cruel and Tender. Zärtlich und grausam – Fotografie und das Wirkliche, hg. v. Thomas Weski/Emma Dexter, Kat. [Museum Ludwig, Köln], Ostfildern-Ruit, 23-27.


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