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Text aus dem Band: Huber, Lockemann, Scheibel (Hg.), Bild Medien Wissen. Visuelle Kompetenz im Medienzeitalter, München 2002, kopaed Verlag


Jenseits der Netzkunst

Abstract
Kunst wird im Kontext von Online-Medien meist nur in Form von Netzkunst rezipiert. Das Internet bietet KünstlerInnen jedoch zahlreiche weitere Nutzungsmöglichkeiten. Die spezifischen Merkmale des WWW werden thematisiert, woraus sich verschiedene Möglichkeiten der Online-Präsentation von ‚analogen’ Kunstwerken ergeben. Weiterhin werden Formen der künstlerischen Nutzung von Online-Medien, die den realen mit dem virtuellem Raum verbinden, vorgestellt.

1. Kunst und Online-Medien
Schaut man sich die Literatur über die Zusammenhänge von Kunst und Online-Medien in den letzten Jahren an, stellt man fest, dass sich die Rezeption fast ausschließlich auf den Bereich der Netzkunst bezieht. Das Internet, schwerpunktmäßig das WWW, wird jedoch von KünstlerInnen nicht ausschließlich für die Kunstproduktion, sondern vermutlich in weit größerem Ausmaß als Präsentationsmedium und Plattform zur Veröffentlichung genutzt – auch oder gerade von denen, die sich nicht der Kunstproduktion im und mit dem Netz widmen. Die Problematik, die mit Kunstpräsentationen im Internet einhergeht, formuliert der Künstler Eduardo Kac folgendermaßen: „das Internet [birgt] auch das Risiko, mit seinen virtuellen Oberflächen, den Standard-Interfaces und der geregelten Form von Kommunikation alle kulturellen Artefakte gleich aussehen zu lassen.“ Von daher scheint es angebracht, diese Entwicklung einmal genauer zu untersuchen und Schnittstellen zwischen einer Offline-Kunstproduktion und einer Nutzung von Online-Medien näher zu betrachten.

Unterschieden werden sollen drei Kategorien, die eine Kunstproduktion mit Online-Medien in Verbindung bringen. Die erste Kategorie ist die der Netzkunst oder Net.Art. Dies stellt den am meisten diskutierten, weil genuin eigenständigsten Bereich dar. Die Netzkunst umfasst künstlerische Produktionen, die ausschließlich für das Netz konzipiert sind, mit dem Netz arbeiten und dessen Bedingungen in ihre kritische Reflexion mit einbeziehen. Sie können ohne das Netzumfeld nicht existieren, sie können nicht offline gezeigt werden und entziehen sich somit in der Regel den Gegebenheiten des Kunstmarktes. Sie zeichnen sich meist durch die Nutzung der kommunikativen Strukturen des Internets aus und sind oftmals geprägt von einer Interaktivität, die die BetrachterInnen in verschiedenen Formen in das Werk mit einbezieht. Diese Netzkunst-Werke bedienen sich nicht zwangsläufig des WWW als Medium, sie können gleichermaßen auch andere Strukturen des Internets nutzen. Das, was online zu sehen und zu hören ist, stellt das Originalkunstwerk dar. Auf die Netzkunst soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden, da sie bereits an anderen Stellen Thema intensiver Beschäftigung ist.

Die zweite Kategorie ist die der Kunst im Netz. Es handelt sich hier um die Repräsentation von Kunstwerken, die in einem anderen Medium hergestellt worden sind und nun online präsentiert werden. Diese Kunstwerke sind im Netz als Reproduktionen präsent, was bedeutet, dass es außerhalb des Netzes ein Original gibt. Kunst im Netz kann einerseits von KünstlerInnen, andererseits auch in Form von Galerie- oder Museumspräsentationen gezeigt werden. Durch die multimedialen und kommunikativen Möglichkeiten, die die Online-Medien bieten, kommt es jedoch teilweise zu hybriden Formen. Das heißt, dass die Präsentation Aspekte einschließen kann, die in der analogen Form der Arbeit nicht vorhanden sind. So werden teilweise mit Musik oder Bewegtbild zusätzliche Ebenen in die Arbeit eingeführt. Dies hat zur Folge, dass eine Präsentation im Netz einen eigenständigen Charakter entwickeln kann.

Es ist davon auszugehen, dass es zahlreiche KünstlerInnen gibt, die das Medium WWW zwar interessant finden, es aber nicht als Medium der Kunstproduktion nutzen möchten. Interessieren sollen Fragen zur Differenz einer Veröffentlichung in einem ‚alten’ Medium – wie zum Beispiel einem Katalog – zum Neuen Medium WWW und dessen Möglichkeiten. Es geht hier nicht darum, eine Differenz zwischen einem Original und einer Online-Präsentation aufzuzeigen. Unabhängig davon, wie künstlerische Arbeiten in einem Ausstellungskontext präsentiert werden, ist eine öffentliche Sichtbarkeit der Werke in der Regel sehr wichtig. Gerade für junge und wenig bekannte KünstlerInnen, die nicht bereits zahlreiche Ausstellungskataloge und Rezensionen vorweisen können, stellt das WWW eine Plattform dar, auf der Arbeiten schnell und vergleichsweise kostengünstig öffentlich präsentiert werden können. Dies kann möglicherweise helfen, Interesse für die Arbeiten zu wecken. Anlässlich der Entwicklung des WWW in den letzten Jahren muss jedoch Abstand von der Vermutung genommen werden, dass Interesse durch einen zufälligen Kontakt beim Surfen geweckt wird. Die meisten Online-Präsentationen werden dafür produziert, potenzielle InteressentInnen gezielt auf sie aufmerksam zu machen, zumindest was Präsentationen von wenig bekannten KünstlerInnen anbelangt.

Die dritte hier eingeführte Kategorie soll als Kunst mit dem Netz bezeichnet werden. Es handelt sich dabei um die Beschreibung einer Kunstproduktion, die Online-Medien als konstituierendes Moment in den Entstehungsprozess des Kunstwerks integriert, dies aber nicht in einer reinen Online-Präsentation repräsentiert. Vielmehr wird eine Verbindung zwischen analogen und digitalen Medien hergestellt. Die Erscheinungsformen solcher Kunstwerke sind mitunter sehr unterschiedlich, sie können beispielsweise als Tafelbilder entstehen oder aber auch installative oder konzeptuelle Formen annehmen. KünstlerInnen, die bislang nicht durch den Umgang mit Online-Medien hervorgetreten sind, nutzen diese Form ebenso wie solche, die bereits mit Netzkunstwerken Aufmerksamkeit erlangt haben. Kunst mit dem Netz stellt eine interessante Möglichkeit dar, Online-Medien in einen künstlerischen Prozess zu integrieren, ohne durch deren engen ästhetischen Rahmen allzu große Kompromisse in der endgültigen Form des Kunstwerks eingehen zu müssen.

2. Strukturelle Eigenheiten der Online-Medien
Zunächst sollten die strukturellen Eigenheiten von Online-Medien näher betrachtet werden, um ein tieferes Verständnis für deren Nutzungsmöglichkeiten zu erzielen. Die Verwendung des Begriffs ‚Online-Medien’ geschieht hier im Sinne von Carsten Winter, der die Begriffe ‚Internet’ und ‚Online-Medien’ wie folgt unterscheidet: „...das Internet selbst weist keine medienspezifischen Eigenschaften auf: Es realisiert allein den Datenaustausch zwischen Computern und Netzen durch dafür entwickelte Übertragungsprotokolle. Sehr wohl lassen sich dagegen spezifische Internet-Dienste wie E-Mail, Usenet [...] oder World Wide Web (WWW)-Browser als einzelne Medien bestimmen.“ Da der Schwerpunkt dieser Untersuchung auf den visuellen Möglichkeiten der Online-Medien liegt, geht es hauptsächlich um das Medium WWW. Die wichtigsten strukturellen Merkmale des WWW sind zu suchen in der Monitordarstellung, der Nutzung von Hypertextstrukturen, der Verbindung von Text, Grafik, Bewegt- und Standbild und der Beziehung zwischen dem zweidimensionalen Erscheinungsbild und dem virtuellen Raum.

Die Darstellung im WWW ist immer an die Monitoroberfläche gebunden und dementsprechend an ein Querformat, üblicherweise im Seitenverhältnis 4:3. Durch die zwangsläufige Nutzung eines Browsers, der zur Darstellung der Inhalte benötigt wird, wird durch ihn ein Rahmen gebildet, der grafische und textuelle Elemente enthält. Dieser Rahmen fällt je nach den Einstellungen der Nutzerin unterschiedlich aus, lässt sich jedoch nicht völlig eliminieren. Das Browserfenster kann zwar in unterschiedlichen Größen aufgezogen werden und von daher auch eine hochformatige Betrachtungsweise ermöglichen, hier soll jedoch von einem Monitor füllenden Format ausgegangen werden. Die Darstellung auf der Monitoroberfläche unterliegt einem strengen Pixelraster mit der Auflösung von 72 dpi. Diese Rasterung, die durch die Digitalisierung entsteht, ist ein wesentliches Element der Darstellung in Neuen Medien und somit auch in Online-Medien. Das Farbspektrum, das im WWW zur Verfügung steht, ist sehr eingeschränkt. Auf Grund von Kompatibilitätsproblemen zwischen den verschiedenen Betriebssystemen und Browsern, die Farbcodierungen unterschiedlich darstellen, hat sich ein System der „websicheren Farben“ etabliert, das aus 216 verschiedenen Farben zusammengesetzt ist. Dies unterscheidet die Darstellung im WWW nachhaltig von anderen digitalen Möglichkeiten, da einer Offline-Monitordarstellung mit einem durchschnittlichen Monitor und einer gängigen Grafikkarte mehrere Millionen Farben zur Verfügung stehen.

Ein wesentliches Merkmal des WWW liegt in der Nutzung von Hypertext-Strukturen . Hypertext ermöglicht eine nichtlineare Verknüpfung von Dokumenten, die unter Umständen auf unterschiedlichen Servern, möglicherweise sogar auf verschiedenen Kontinenten verortet sind. Die Nutzung von Hypertextstrukturen kommt einer Bewegung gleich, die jedoch als solche nicht wahrnehmbar ist. Lediglich im Prozess des Seitenaufbaus ist eine Bewegung sichtbar. Dass eine Form von Bewegung vorliegt, manifestiert sich eher im Sprachgebrauch, wenn beispielsweise von ‚surfen’ die Rede ist oder die Browser Namen wie ‚Explorer’ oder ‚Navigator’ tragen.

Die Verknüpfungspunkte der Dokumente können in Form von Text, Bildern oder grafischen Elementen vorliegen, was die Oberfläche der Website zu einer geografischen Karte werden lässt, mit deren Hilfe man sich durch die Welt des Internets bewegen kann. „Die Benutzeroberfläche weist mit den ikonischen Zeichen eine Kommunikationsstruktur auf, die sprachunabhängig funktioniert und überall verständlich ist. Sie unterscheidet sich im Prinzip nicht von Piktogrammen kartographischer Entwürfe...“. Kritisch ist hier anzumerken, dass eine universale Verständlichkeit nur unter der Prämisse des Erwerbs der erforderlichen Kompetenzen möglich ist. Um eine Karte zu ‚lesen’, ist es notwendig, den Maßstab und verschiedene Farben und Symbolsysteme zuordnen zu können. Diesem Verfahren ähnlich muss auch die Nutzerin einer Website unterscheiden zwischen Navigation und Inhalten, zwischen Hyperlinks und anderen Texten, zwischen Bildern, die als Verweise dienen und solchen, die keine weiterführenden Funktionen verbergen. Sie muss abschätzen können, wann die Seite fertig geladen ist und ob sie die Möglichkeit hat, durch scrollen noch weitere Informationen zu erhalten, die sich zunächst nicht auf dem Bildschirm zeigen. Dies bedeutet, dass die BenutzerInnen weitergehende Kompetenzen benötigen, als Texte lesen oder Bilder interpretieren zu können. Um das medial übermittelte Produkt in seiner Komplexität zu verstehen, ist eine Kombination von verschiedenen Kompetenzen erforderlich, denn das Verstehen des Dargestellten wirkt sich auf das weitere Handeln aus. So wie der Blick in den Autoatlas möglicherweise die Route beeinflusst, man bei falscher Lesart nicht dort ankommt, wo man hin gelangen möchte, so führt ein falsches Verständnis der visuellen Web-Oberfläche zu Handlungen, die nicht das erwartete Ergebnis bringen. So werden unter Umständen auf der Website vorhandene Informationen nicht auf dem Bildschirm angezeigt, weil die Navigationsstruktur nicht korrekt erfasst wurde. Anders als bei der geografischen Karte gibt es keine Legende, die die grundsätzlichen Funktionsweisen erklärt. Die teilweise vorhandenen ‚Sitemaps’ dienen zwar als Inhaltsverzeichnis, erklären aber nicht die Nutzungsmöglichkeiten der Vernetzungsstrukturen. Für die Produktion von Websites ist dies zu berücksichtigen, wobei sich in den letzten Jahren einige Konventionen etabliert haben, die auf zahlreichen Websites Anwendung finden und von daher eine Art Funktionskanon bilden. Es gibt jedoch keinerlei Verbindlichkeiten, die in der Gestaltung einzuhalten sind.

Der Vergleich mit der Geografie findet eine Fortsetzung in der Verwendung von Raum-Metaphern, die für das Internet als Ganzes oder für Internet-Anwendungen als ‚Cyberspace’ oder ‚virtueller Raum’ ein topografisches Moment implizieren. Obwohl die grafische Oberfläche zunächst zweidimensional bleibt, wird das Internet als ganzes räumlich gedacht. Die Web-Oberfläche verweist in ihrer Zweidimensionalität auf einen nicht sichtbaren dreidimensionalen Raum. Sean Cubitt merkt hierzu jedoch an: „... cyberspace is only tangentially geographical. In line with so many of the most important innovations in cartography over the last hundred years, the thesis of instantaneity gives cyberspace an immediately topological form.“ Da es möglich ist, unmittelbar von einem ‚Ort’ zum nächsten zu gelangen, ohne geografische Gegebenheiten berücksichtigen zu müssen, ist die Idee der Geografie nicht auf das Internet als Struktur anzuwenden. In ihrer natürlichen Multidimensionalität existieren Websites „in an abstract space that does not obey the rules of Euclidean geometry“ .

Die Frage nach dem Raumbegriff tangiert allerdings nicht das visuelle Erscheinungsbild der Website, da sich das Sichtbare des Mediums WWW immer in einer Zweidimensionalität an der Monitoroberfläche präsentiert. In der Kombination von Grafik, Text und Bild, die durch die Konstellation des Browserfensters zusätzlich eingerahmt werden, ist die Anmutung einer Website zunächst immer eine grafische. Die Wirkung des Inhalts ist nachhaltig geprägt durch die grafische Gestaltung. Durch die Rezeption anderer Medien sind wir allerdings daran gewöhnt, Kombinationen von Text, Bild und grafischen Elementen durchaus auch als bildhaftes Ganzes wahrzunehmen.

3. Transformation durch Digitalisierung
Um das WWW als Medium der Repräsentation von analogen Inhalten – in diesem Fall von Kunstwerken – einsetzen zu können, müssen diese Inhalte zunächst in eine digitale Form gebracht werden. Die Digitalisierung stellt ein wichtiges Moment in der Arbeit mit Online-Medien dar. Liegt das Ausgangsmaterial in analoger Form vor, muss es erst vom Ausgangsmedium in eine digitale Form konvertiert werden. Digitalisierung bedeutet so viel wie die Umwandlung des analogen Materials in eine „numerische Repräsentation“. Die Digitalisierung stellt einen Transformationsprozess dar. Bei einer Transformation handelt es sich nach Ralf Schnell um eine „strukturelle Veränderung der Formensprache eines Mediums durch die eines anderen“. Durch die Aufsplittung der analogen Information in Pixelstrukturen und Datenpakete verändern sich unter Umständen Farben oder Informationsdichte. Da die Scantechnik mittlerweile extrem hohe Auflösungen ermöglicht, ist jedoch fraglich, inwieweit die Digitalisierung tatsächlich eine visuell wahrnehmbare Veränderung der Information mit sich bringt. Die ununterbrochene („continuous“) analoge Information – beispielsweise eines fotografischen Bildes – wird in einen getrennten („discrete“) Datensatz in Form eines quadratisches Pixelrasters übertragen. Ist die Auflösung hoch genug, kann das menschliche Auge diese Veränderung der Information jedoch nicht wahrnehmen. So werden beispielsweise zur Herstellung großformatiger Vergrößerungen analoger Farbfotografien Scans der Negative auf Fotopapier ausbelichtet. Trotzdem wird in diesen Fällen nicht von digitaler Fotografie gesprochen, obwohl das Endergebnis bei Betrachtung durch eine Lupe vermutlich als digital erkannt werden kann. Der Hauptaspekt der Digitalisierung liegt in der Änderung der Materialität. Handelt es sich beim analogen Material beispielsweise um eine Fotografie, die von einem Negativ auf ein Fotopapier einer bestimmten Größe belichtet ist, können die Daten in digitaler Form unterschiedlich weiterverarbeitet werden. Sie können am Bildschirm mit einem Bildbearbeitungsprogramm in verschiedenen Größen angeschaut werden, sie können an einem Tintenstrahldrucker ausgedruckt oder aber wieder auf ein Fotopapier belichtet werden. Die digitalen Bilddaten können jedoch auch mit nicht für die Bildbearbeitung ausgelegten Programmen ausgelesen werden, so dass beispielsweise Töne oder Texte bestehend aus ASCII-Zeichen erzeugt werden. Ein Sinn lässt sich jedoch vermutlich nur mit der Verwendung eines dem Datensatz entsprechenden Programms rekonstruieren. Gehen wir von einer Benutzung im WWW aus, wird der digitale Bilddatensatz im Standard-Browser immer als Bild zur Betrachtung am Monitor ausgelesen – jedoch in sehr geringer Auflösung, um die Ladezeiten zu optimieren. Statt einer Aufsichtsvorlage erhält man eine selbst leuchtende Darstellung. Die materielle Präsentation der Inhalte wird durch eine immaterielle abgelöst. Da diese Darstellung über Online-Medien verbreitet wird, unterliegt sie deren Bedingungen, wie beispielsweise einem geringen Farbspektrum, das den Farbumfang eines Papierbildes bei weitem nicht repräsentieren kann.

Nicht nur die Digitalisierung stellt eine Transformation des Materials dar, vielmehr muss im Anschluss daran überlegt werden, wie sich das analoge Material im Online-Medium unter dessen Bedingungen adäquat präsentieren lässt. Das wichtigste ist die Berücksichtigung des Zielmediums: „so wird man sich grundsätzlich darauf besinnen müssen, dass die ästhetisch signifikante Instanz dasjenige Medium ist, in dessen Struktur der Transformationsprozeß resultiert.“ Ähnlich wie im Katalog oder Buch muss das Material in einen neuen Kontext überführt werden, der die Intention des Werkes trotz der Differenz unterstützen soll. Dies ist die eigentliche Herausforderung an KünstlerInnen, die ihre Werke online präsentieren möchten. Walter Benjamin formuliert in Bezug auf sprachliche Übersetzungen die Aufgabe des Übersetzers wie folgt: Sie „besteht darin, diejenige Intention auf die Sprache, in die übersetzt wird, zu finden, von der aus in ihr das Echo des Originals erweckt wird.“ Geht man davon aus, dass jedes Medium über eine eigene ‚Sprache’ verfügt, lassen sich Parallelen zu sprachlichen Übersetzungen finden. So ist es in der Regel möglich, den inhaltlichen Sinn, der in den Bereich des Verstehens fällt, zu übertragen, in diesem Fall den Inhalt der Bildinformation. Die visuelle Ähnlichkeit des digitalisierten Bildes mit dem Originalbild stellt den Inhalt, den ‚Sinn’ des Bildes dar. Jenseits des Sinns existieren jedoch Ebenen, die sich nicht funktional von einem Medium in ein anderes übertragen lassen. Der „Rest – das Unübersetzbare“ , ist das, was sich jenseits der Transformationsmöglichkeiten befindet. „Das Unübersetzbare übersteigt die Grenzen des Horizonts von Kommunikation, es übersteigt den Horizont überhaupt.“ Es kann vielleicht mit ‚Atmosphäre’ und Materialität benannt werden, denn diese lassen sich nicht ohne Abstriche in ein anderes Medium übertragen. Das Denken der Differenz der unterschiedlichen Medien ist Bestandteil der Übersetzung. Wo das Unübersetzbare verortet ist, muss das Ziel-Medium, in diesem Fall das WWW, in seiner Spezifik ergänzend einspringen. Deshalb lässt jeder Transformationsprozess von einem Medium in ein anderes etwas Neues entstehen. Die verschiedenen Sprachen oder Funktionsweisen der Medien lassen sich nicht einfach austauschen, was sich an Hand von gescheiterten Versuchen, die Formensprache von Printmedien ins WWW zu übertragen, feststellen lässt.

4. Kunstpräsentationen im WWW
Nach der Betrachtung der spezifischen Funktionsweise des Mediums WWW und der Problematik einer Übertragung vom analogen in den digitalen Bereich sollen hier nun einige praktische Beispiele auf ihren Umgang mit dem WWW genauer untersucht werden. Besonders gut für Online-Präsentationen scheint sich die Fotografie zu eignen. Der Aufbau des fotografischen Bildes aus einer gekörnten Oberfläche und die Variabilität des Formats unterscheidet sich nur unwesentlich vom grundsätzlichen Aufbau des digitalen Bildes durch eine gerasterte Pixelstruktur. Einzig die Form des Rasters, im analogen Bereich willkürlich, im digitalen streng strukturiert, macht eine Differenz aus. Von daher soll hier als erstes eine Präsentation von fotografischen Arbeiten vorgestellt werden. Auf seiner Website veröffentlicht Marcus Lepie, Fotograf und Designer aus Berlin, fotografische Arbeiten aus den letzten sieben Jahren. [Lepie 1] Die Website bedient sich des Quadrats als grafischem Mittel, das in verschiedenen Größen die Inhalte auf den unterschiedlichen Ebenen repräsentiert. Den Hintergrund der Präsentation bilden zwei nebeneinander liegende große Quadrate, die als Konstante eine Art Bühnensituation für die Präsentation herstellen. Das Format ist so gewählt, dass eine Ansicht auch auf kleineren Monitoren ohne scrollen möglich ist. Farblich ist die Site in verschiedenen Grautönen gehalten, die sich jedoch bei jedem Besuch verändern, ähnlich wie die Konstellation der kleineren Quadrate. Von der Ausgangsseite aus ist es möglich, mit dem Künstler Kontakt aufzunehmen. Die mittelgroßen Quadrate ermöglichen einen direkten Einstieg in die Präsentation. Jedes der Quadrate repräsentiert eine Werkgruppe, die Größe ist abhängig von der dahinter verborgenen Anzahl der Bilder. Da es keinen Hinweis zur Benutzung dieser Site gibt, muss sich die Nutzerin diese selbst erschließen. Es gibt keine Navigation im herkömmlichen Sinne. [Lepie 2] Begibt man sich per Mausklick in eine Werkgruppe, erscheinen wiederum kleinere Quadrate, die die einzelnen Bilder repräsentieren. Klickt man sie an, werden die Bilder auf der linken Monitorhälfte angezeigt. Wenn man die dahinter liegenden Bilder angeschaut hat, ändert sich die Farbigkeit der kleinen Quadrate. Zeigt man mit dem Cursor auf die Quadrate, werden auf den verschiedenen Ebenen Titel angezeigt. Ansonsten gibt es keinen erklärenden Text. Die Nutzerin kann die Bilder entweder in einer selbst bestimmten oder aber, mittels kleiner Pfeile, in einer vom Künstler festgelegten Reihenfolge anschauen. [Lepie 3] Die Bilder, um deren Präsentation es hier geht, haben eine Größe, die kurze Ladezeiten und eine gute Betrachtung garantiert. Allerdings gehen teilweise erhebliche Details verloren. Man merkt schnell, dass sich einige Werkgruppen wesentlich besser für eine solche Präsentation eignen als andere. Sobald die Bilder eine höhere Komplexität aufweisen, sind wichtige Details im Bild nicht mehr auszumachen. Eine Möglichkeit zur Vergrößerung wäre dann wünschenswert.

Die Form, die der Künstler hier zur Präsentation seiner Arbeiten gewählt hat, ist sehr gut auf das Medium WWW abgestimmt. Er versucht nicht, eine Katalogpräsentation auf das Neue Medium zu übertragen, sondern arbeitet mit den vorhandenen Möglichkeiten. Durch den Verzicht auf Erklärungen muss sich die Nutzerin die Site spielerisch selbst erschließen und kann so – im Rahmen des Möglichen – ihren Assoziationen folgen. Die Tatsache, dass der Eindruck durch die per Zufall generierte Farbigkeit immer ein anderer ist, bringt ein Element mit ein, das es außerhalb dieses Mediums nicht geben kann. Während im analogen Medium Farbigkeit und Konstellation festgelegt sind, ist man hier immer wieder mit einem neuen Erscheinungsbild konfrontiert. Die Differenz zu einer klassischen Präsentation liegt im Umgang mit den sich wandelnden grafischen Elementen, die nicht aufdringlich wirken, sondern eine Spannung erzeugen und damit die Präsentation der Bilder unterstützen. In der Nutzung des WWW entsteht hier ein Mehrwert, dem es ein Stück weit gelingt, andere Nachteile der Präsentation, wie die geringe Bildauflösung, auszugleichen. Die Nutzerin bekommt jedoch einen guten Einblick in die Arbeitsweise des Fotografen. Die Bilder an sich wirken ähnlich spröde und zurückhaltend wie die grafische Umsetzung. Die Grafik nimmt die Wirkung der Bilder auf und unterstützt sie. Durch die intuitive Benutzerführung der Navigation entsteht eine ganz eigene Bewegung durch den Inhalt der Site, die sehr netzspezifisch ist. Die Nutzerin muss sich nicht durch endlose Unterverzeichnisse navigieren, um dorthin zu gelangen, wo etwas zu sehen ist. Alles ist insgesamt sehr schlicht und benutzerfreundlich programmiert.

Ein weiteres Beispiel für eine gelungene Präsentation von Kunst im Netz ist die Website der Stuttgarter Künstlerin Anke Bauer. Der Schwerpunkt der künstlerischen Arbeiten von Anke Bauer liegt in der Malerei, aber es gibt auch einige Objektarbeiten. Man gelangt zunächst auf eine Seite mit einem Foto der Künstlerin und einem Begrüßungstext, wird aber direkt aufgefordert, in die Präsentation einzusteigen. Es öffnet sich eine Flash-Animation, auf der Häuser und Menschen schwerelos durch den Raum schweben. [Bauer 1] Der Cursor verwandelt sich in ein Zielfernrohr, die Nutzerin kann die herumfliegenden Personen abschießen. Die Animation wird von einem leichten, poppigen Elektronik-Sound begleitet, beim Klicken ertönt das Geräusch eines Schusses. Die Figuren und Häuser der Flash-Animation sind ursprünglich gemalt, es sind Elemente aus einem großformatigen Ölbild, das üblicherweise in einem Ausstellungskontext präsentiert wird. Hinter den abzuschießenden Personen verbergen sich weitere Flash-Animationen, diese sind jedoch im Gegensatz zur ersten am Computer gezeichnet. [Bauer 2] Jede Animation wird von einem anderen Sound begleitet und enthält klickbare Elemente. Hinter diesen liegen die Werke der Künstlerin. [Bauer 3] Die Bilder sind recht großformatig eingescannt und immer mit einem Bildtitel und dem Entstehungsjahr versehen.

Der Aufbau der Website als ein mehrschichtiges Computerspiel verhindert, dass man sich die präsentierten Werke in einer festgelegten Reihenfolge anschauen kann. Auch hier gibt es keine herkömmliche Navigation oder Hilfefunktion, die Nutzerin muss sich die Site selbstständig erschließen. An drei verschiedenen Stellen es ist möglich, mit der Künstlerin per E-Mail Kontakt aufzunehmen. Die Nutzung der Möglichkeiten des WWW für eine Kunstpräsentation geht hier sehr viel weiter als bei der Website von Marcus Lepie. Durch die Einführung von Musik und Bewegtbild entsteht eine große Differenz zu einer herkömmlichen Publikation. Die Flash-Animationen sind stilistisch eng an die präsentierten Kunstwerke angelehnt, so dass sie eine Ergänzung zu diesen bilden. Die Animationen unterscheiden sich jedoch von den vorgestellten Arbeiten, da sie als Navigation genutzt werden und musikalisch unterlegt sind. Dadurch werden die einzelnen Bilder, die klassisch auf weißem Hintergrund für sich stehend und ohne Ton präsentiert werden, als eigenständige Werke wahrgenommen, werden jedoch in einen popkulturellen Kontext gestellt. Die Motivwelten der präsentierten Arbeiten sind häufig durch ironische Brüche gekennzeichnet, was durch die Animationen und die Musik noch verstärkt wird. Ein Nachteil der spielerischen Präsentation liegt jedoch darin, dass es problematisch ist, ein ganz bestimmtes Bild wieder zu finden. Es ist ebenfalls nicht nachvollziehbar, wo man bereits gewesen ist und ob man alles gesehen hat.

Beide Beispiele sind gelungene Vertreter einer möglichen Präsentation von Kunst, die nicht für das Web gemacht ist. Während die Präsentation von Marcus Lepie schwerpunktmäßig auf eine variable grafische Oberfläche setzt, die in ihrer zurückhaltenden Art einen Rahmen für die Bilder schafft, verortet Anke Bauer mit ihrer Präsentation ihre Arbeiten ganz bewusst in einem popkulturellen Kontext. Beide Künstler verzichten fast vollständig auf Hintergrundinformation. Außer den Bildtiteln gibt es keinen Text. Die Datenbankanbindung von Lepies Website erleichtert das Hinzufügen von neuen Inhalten, was erhoffen lässt, dass sie immer aktualisiert wird, wenn neue Arbeiten entstehen. Durch die Benutzung des Programms Flash schränkt sich Anke Bauer diesbezüglich ein, hier ist es nicht ohne weiteres möglich, neue Inhalte hinzuzufügen. Deshalb animiert die Site eher durch ihre spielerische Herangehensweise zu einem neuerlichen Besuch in der Hoffnung, neue Arbeiten zu entdecken, die vorher übersehen wurden.

5. Kunst mit dem Netz
Die dritte Kategorie der künstlerischen Nutzung von Online-Medien soll hier als Kunst mit dem Netz bezeichnet werden. Hier verwenden KünstlerInnen Online-Medien z.B. als Archiv zur Materialsuche oder um Prozesse zu initiieren, die dann im Realraum stattfinden. Die Benutzung von Online-Medien ist konstituierend für die entwickelten Kunstwerke, diese existieren jedoch außerhalb derselben.

[Ruff: nudes pei 01 2001, 135 x 130 cm] [Ruff: nudes tos 03 2000, 112 x 142 cm] Bildmaterial aus dem WWW benutzt Thomas Ruff in der Arbeit „Nudes“, die er seit 1999 entwickelt. Eigentlich als Recherche im Internet zum Thema Akt begonnen, nutzt Ruff das gefundene pornografische Bildmaterial als Ausgangsbasis seiner Arbeit. Das niedrig aufgelöste und kleinformatige Bildmaterial bearbeitet er digital weiter. Er vergrößert die Bilder, entfernt störende Details und verändert die Pixelstruktur so, dass die Motive erkennbar bleiben, aber unscharf zu sehen sind. Dadurch werden sie wie durch einen Schleier wahrgenommen. Hier wird aus dem global verfügbaren Material mittels des künstlerischen Eingriffs ein Original erzeugt, das wiederum in Galerien und Museen präsentiert werden kann und sich den Gegebenheiten des Kunstmarktes anpasst. Die Herkunft des Materials bleibt im Transformationsprozess sichtbar, da die digitale Unschärfe diese nicht verleugnet. Mit Hilfe der Motivwelt bleibt ebenfalls eine Verbindung zum WWW bestehen, durch die Loslösung aus dem Kontext und die Reduzierung der Massenware auf ein Original entsteht jedoch etwas Neues. Hier geht es allerdings nicht um eine möglichst originalgetreue Wiedergabe des Materials im anderen Medium, sondern um eine künstlerische Verarbeitung des Ausgangsmaterials. Insofern unterscheidet sich dieser Prozess von dem einer Online-Präsentation von Offline-Kunstwerken. Während bei einer Präsentation im Netz die Nähe zum Original noch eine wichtige Rolle spielt, was durch eine Nutzung der Möglichkeiten der Online-Medien unterstrichen werden soll, ist bei diesem künstlerischen Eingriff in das gefundene Material nicht die Nähe zum Ausgangsmaterial ausschlaggebend. Von daher handelt es sich nicht um einen Übersetzungsprozess im Sinne einer möglichst originalgetreuen Wiedergabe. Online-Medien fungieren hier als eine Art Datenbank zur Appropriation, ähnlich wie auch andere allgemein zugängliche Bildquellen des öfteren von KünstlerInnen genutzt werden. So hat sich Thomas Ruff bereits früher mit öffentlich zugänglichem Bildmaterial beschäftigt. In den Jahren 1990/91 entstand die Arbeit „Zeitungsbilder“, in der er solche reproduzierte und vergrößerte. In der Arbeit „Nudes“ besteht die Aneignung des Materials jedoch nicht in der Reproduktion sondern in der digitalen Weiterverarbeitung. Das Ausgangsmaterial verbleibt zunächst in der Form eines Datensatzes und bekommt erst mit der Ausgabe auf Fotopapier eine materielle Form. Daraus entsteht eine Kontextverschiebung, die eine deutliche Differenz zur Herkunft des Materials darstellt. Die Rohheit der Präsentation im WWW weicht einer ästhetisierten Materialität der Bilder. Durch die digitale Bearbeitung verlieren sie ihre Direktheit und werden zu ästhetischen Artefakten, die kaum mehr Anstoß erregen können. Ruff „entschärft“ die Inhalte und präsentiert diese Bildwelten in einer überraschenden Ästhetik. Er verweist mit „Nudes“ auf den seit langem geführten gesellschaftlichen Diskurs um Fragen nach der Zugänglichkeit von pornografischem Bildmaterial im WWW, ohne in diesem eine kritische Haltung einzunehmen. Die Arbeit von Thomas Ruff ist in Form und Inhalt eng mit dem Ausgangsmaterial verbunden und ist von daher ohne das WWW nicht denkbar. Diese Arbeit stellt eine Möglichkeit der künstlerischen Nutzung von Bildmaterial aus dem WWW dar.

Als weiteres Beispiel soll hier ein Projekt vorgestellt werden, das im Realraum verortet ist, aber die Benutzung des WWW in seiner Entstehungs- und Umsetzungsphase mit einbezieht. Das Berliner Künstlerduo Joachim Blank und Karl-Heinz Jeron, das seit Anfang der 1990er Jahre im Bereich Online-Medien künstlerisch aktiv ist, beschäftigt sich seit längerem mit Projekten, die versuchen, den öffentlichen Raum des WWW mit dem öffentlich zugänglichen realen Raum in Verbindung zu bringen. Das Projekt „First Public White Cube“ war eine temporäre Aktion, die in der Zeit von September 2001 bis Januar 2002 stattfand. Zentrum dieses Projekts war ein Ausstellungsraum in der Berliner Auguststraße. Blank und Jeron haben sich hier in Zusammenarbeit mit Gerrit Gohlke zunächst als Kuratoren betätigt und verschiedene Künstler eingeladen, eine Ausstellung im so genannten Projektraum zu realisieren. Das Konzept des Projektes sah vor, dass über die Online-Auktionsplattform Ebay Optionen zur Veränderung der Ausstellungssituation („Kunstveränderungsrecht“) ersteigert werden konnten. Jede der drei Ausstellungen war begleitet von fünf Online-Auktionen, in deren Folge diejenigen, die den Zuschlag erhalten hatten, die Situation im Ausstellungsraum veränderten. Der Realraum war somit eng mit der Benutzung von Online-Medien verknüpft. Die BesucherInnen konnten sich wie gewohnt eine Ausstellung anschauen, aber auch aktiv an der Gestaltung der Räumlichkeiten mitwirken, wenn sie denn online eine Option ersteigert hatten. Das Bieten war jedoch nicht im Ausstellungsraum selbst möglich, es gab dort keinen vernetzten Computer. Von daher waren beide Bereiche strikt voneinander getrennt. Die Verknüpfung mit dem WWW war in der Ausstellungssituation selbst nicht auszumachen. Die BieterInnen, die den Zuschlag erhalten hatten, waren teilweise selbst vor Ort, um die Veränderungen persönlich vorzunehmen oder sie beschrieben die gewünschte Veränderung, die dann von Blank und Jeron ausgeführt wurde. Begleitet wurde das Projekt von einer Website, die jedoch ausschließlich Dokumentations- und Informationszwecken vorbehalten war. Hier konnte man den Veränderungsprozess der Ausstellungssituation mitverfolgen, ohne jede Woche den Ausstellungsraum aufsuchen zu müssen. In diesem Projekt fand keine Transformation von einem Medium in ein anderes statt, vielmehr wurden realer und medialer Raum formal und inhaltlich miteinander verknüpft. Die jeweilige Ausstellungssituation war abhängig vom Verlauf der Online-Versteigerung und der Person, die den Zuschlag erhielt. [Abbildung blank_jeron1.tif]

Mit diesem Projekt thematisieren Blank, Jeron und Gohlke die ökonomischen Strukturen des öffentlichen Marktplatzes Internet, dessen Schwerpunkt in der kommerziellen Nutzung liegt. Sie durchbrechen aber genau diese Strukturen, da sie kein Produkt, sondern eine Interaktionsmöglichkeit versteigern. Sie bieten dem Publikum die Möglichkeit, selbst in die Ausstellungssituation einzugreifen, dadurch eigene Ideen umzusetzen und interaktiv mit den ausstellenden KünstlerInnen in einen Dialog zu treten. Die KünstlerInnen werden zu DienstleisterInnen, die gegen finanzielle Mittel dem Wunsch der finanzkräftigsten InteressentInnen Folge leisten. Damit werden gleichzeitig die ökonomischen Bedingungen des Kunstmarktes thematisiert. Der Mythos von der freien Künstlerin, die prinzipiell die Freiheit haben sollte, ohne Vorgaben und Zwänge ihre Kunstwerke zu realisieren, ist längst durch die ökonomischen Strukturen des Kunstmarktes dekonstruiert. So greifen im Projekt „First Public White Cube“ verschiedene Themenstränge der Auseinandersetzung mit dem Kunstsystem und den Bedingungen innerhalb der Online-Medien ineinander. Es verbindet Kritik am ökonomischen Regelwerk im On- und Offline-System und thematisiert die Verquickung von beiden. Dadurch schaffen die Künstler einen starken Bezug zu wichtigen Themen der gegenwärtigen Bedingungen unserer Gesellschaft.

6. Resumé
Die Beispiele zeigen, dass Online-Medien in vielfältiger Weise künstlerisch genutzt werden können. Multimediale Aspekte, Interaktivität, die öffentliche Zugänglichkeit und die vergleichsweise einfache technische Handhabung in der Produktion eröffnen KünstlerInnen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten auch jenseits der genuinen Kunstproduktion. Gerade als Präsentationsmedium bieten Online-Medien mit ihrer Aktualität, Komplexität und Nichtlinearität zahlreiche Möglichkeiten, die in analogen Medien nicht zu finden sind. Es lassen sich beispielsweise durch Verlinkungen Kontexte herstellen oder Kommunikationsangebote machen. Die Nutzung von multimedialen Möglichkeiten kann das Angebot zusätzlich erweitern, was in Offline-Medien oftmals unmöglich ist. Dafür ist es jedoch erforderlich, die Funktionsweisen der Online-Medien zu verstehen und diese adäquat einzusetzen. Nur so kann es gelingen, eine mediengerechte Präsentation zu erarbeiten. Zahlreiche Beispiele künstlerischer Präsentationen zeigen leider Gegenteiliges, da es ihnen nicht gelingt, die spezifischen Vorteile des Mediums in der Form der Präsentation umzusetzen. Diesbezüglich hat sich jedoch in den letzten Jahren einiges verändert. So sind beispielsweise Versuche, reale Räume dreidimensional darzustellen, so dass sich die Internetnutzerin hier wie dort gleichermaßen bewegen kann, seltener geworden. Dies verdeutlicht, dass mittlerweile verstanden worden ist, dass Erfahrungen im realen Raum nicht einfach auf das Neue Medium zu übertragen sind. Die Qualitäten des virtuellen Raumes WWW liegen eindeutig nicht in der Übertragung von Analogwelten ins Virtuelle, weshalb neue Formen der Umsetzung gefragt sind. Die Aufmerksamkeit dieser Tatsache gegenüber stellt einen Kernpunkt von Medienkompetenz dar. Wollen KünstlerInnen Online-Medien sinnvoll nutzen, ist diese Medienkompetenz unabdingbar. Durch eine Paarung mit spezifischen künstlerischen Kompetenzen kann es ihnen gelingen, die visuellen Möglichkeiten von Online-Medien in ihrer Komplexität auszuloten und weiterzuentwickeln. Gleichzeitig ist im künstlerischen Umgang auch eine Abgrenzung von kommerziellen Produktionen möglich, da sie meist nicht den selben Gesetzmäßigkeiten unterliegen.

Große Entwicklungsmöglichkeiten gibt es auch in der künstlerischen Verknüpfung vom Online- mit dem Offline-Bereich. Die Präsentationsschwierigkeiten von Netzkunst im Galerien- und Museumskontext verdeutlichen, dass die Gebundenheit an die Monitoroberfläche immer wieder ein Hindernis darstellt. Auch ist im Fall von Museumspräsentationen oft nicht klar, warum diese Arbeiten in einem institutionellen Kontext gezeigt werden müssen, da man sie auch bequem von Zuhause aus anschauen kann, zumal man dort nicht – im Fall von großem Besucherandrang – um die begehrten Plätze an den Rechnern kämpfen muss. Hybride Formen, die einerseits Online-Medien einbeziehen und andererseits im realen Raum situiert sind, können diesen Mangel der Netzkunst möglicherweise kompensieren und hier ein neues künstlerisches Betätigungsfeld eröffnen. Dies erfordert – ähnlich wie bei Online-Präsentationen von analogen Kunstwerken – nicht unbedingt eine hohe technische Kompetenz, was die gezeigten Beispiele verdeutlicht haben. Viel wichtiger ist ein weit reichendes Verständnis der Funktionsweisen und Möglichkeiten im Umgang mit den verschiedenen Aspekten des Internets. Ist dieses vorhanden, eröffnen Online-Medien den KünstlerInnen zahlreiche Nutzungsmöglichkeiten, was nicht zwangsläufig dazu führt, dass sich die künstlerische Produktion vollständig in virtuelle Dimensionen verlagern muss.



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